Alexander Graf

Alexander Graf im Porträt:
Die fünf Learnings eines B2B-Influencers

Welche Learnings kann man von einem B2B-Influencer und Serienunternehmer wie Alexander Graf mitnehmen und für sich nutzen? 17 Jahre E-Commerce-Erfahrung hat er auf dem Buckel und sich zum führenden Experten in Sachen Digitalökonomie im Handel gemausert. Ich durfte im persönlichen Gespräch mit Alex ins Detail gehen und herausfinden, welche Faktoren ihn zu der Persönlichkeit gemacht haben, die er heute ist. Mein Fazit: Es ist die Mischung aus unternehmerischen Gespür, einem extrem guten Netzwerk und das Streben nach Hoheitswissen. Ein Porträt über den Spryker-CEO und Kassenzone-Blogger und -Podcaster.

Schon zu Schulzeiten zählt Alex zu den „Machern“. Zusammen mit seinem Schulbuddy Torben organisiert er Schüler- und Studentenparties. Schon damals ist ihm klar, dass er eine Unternehmerlaufbahn anstreben will. Richtungsweisend schlägt er den Weg ins BWL- und Informatik-Studium ein. Parallel dazu betreibt er ein Business mit Webdesign und Vermarktung rund um den Kieler Nachtclub Maxx und den heutigen Lunaclub. Rückblickend waren das wertvolle erste Schritte im Onlinebusiness Ende der 90er-Jahre, wie er es heute selbst einschätzt.

Dass er im Handel bzw. E-Commerce landet, ist eher dem Zufall geschuldet. Die Noten im Zwischenzeugnis seines BWL-Studiums reichen nicht für einen Einstieg in die Investment- und Finanzbranche, in die damals jeder Absolvent vordringen wollte, wie er heute schmunzelnd zugibt. Sein Praktika bei Otto war damals eher ein Zwischenschritt, ein Notnagel. „Dass ich fünf Jahre bei Otto hängen bleibe, war nicht der Plan. Dass es so gekommen ist, hatte auch viel mit meinem damaligen Chef Björn Schäfers, Gründer von smatch und shopping24, zu tun, der mich extrem gefördert hat und ein hervorragender Mentor war.“

Learning #1: Such dir deinen Job immer nach deinem/r Chef/in aus.

Alex steigt bei Otto im Business Development ein, damals eine Abteilung neben Shopping24. Er beobachtet den US-Markt, der zu diesem Zeitpunkt schon viel weiter ist als in Europa. Er erkennt, dass die Rolle des E-Commerce auch in Europa immer relevanter werden wird. Was sich in den USA im ersten Jahrzehnt der 2000er tut, das ist die Zukunft. Sukzessive eignet er sich Hoheitswissen im E-Commerce an. Sein Chef sieht das auch so. Oft wird er zu Rate gezogen, er bereitet Entscheidungsvorlagen für die Konzernchefs vor und wird vom Vorstand um Support in E-Commerce-Fragen gebeten.

Aus dieser Erfahrung heraus wird er vom Anreiz getrieben, immer einen Wissensvorsprung zu haben und zu halten. „Ich optimiere meine Entscheidungen dahingehend, meine Lernkurve steil zu halten. Fakt ist doch, was ich vor fünf Jahren gelernt habe, ist heute meist nicht mehr relevant. Ich möchte nie in die Situation kommen, Menschen zu sagen, dass sie von mir nichts mehr lernen können.“

Learning # 2: Halte deine Lernkurve steil, sonst ist dein Wissen wertlos.

Er hat sich nicht nur Wissen im Bereich E-Commerce aufgebaut, sondern gilt heute als Experte für Digitalökonomie und Transformation. Er sieht in Deutschland gerade bei mittelständischen Unternehmen großen Handlungsbedarf: „Die Effekte der Digitalökonomie beschleunigen sich auf der Zeitleiste potenziell. Otto hatte noch zehn Jahre Zeit, sich vom katalogbasierten Versandhandelsunternehmen zu einem plattformgetriebenen Digitalunternehmen zu transformieren. Heute bleibt einem traditionellen Unternehmen, wie z.B. aus der Versicherungswirtschaft, nicht mehr dieses Zeitfenster, das ist wesentlich kürzer.“

Was man seiner Meinung nach brauche für eine Transformation, sei eine Koalition der Willigen. Leute, die wirklich aktiv etwas verändern wollen. Oft fehle es den Mitarbeitern an Persistenz und Durchhaltevermögen. Einfach mal zwei bis drei Jahre an etwas dranbleiben, nicht gleich aufgeben, wenn es nicht auf Anhieb funktioniert.

Unternehmenskultur und Wandel

Er definiert drei Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation. Zum einen keine Fünfjahrespläne mehr, immer im Set-Up „Testen, Lernen, Fehler korrigieren, Adaptieren“. Zum anderen Technologie als zentralen Wertschöpfungsfaktor anerkennen und implementieren – egal in welcher Branche. Die dritte, für ihn entscheidende Voraussetzung ist aber zielführendes Unternehmertum. „Als Führungskraft habe ich den Auftrag, dass das Unternehmen relevant bleibt. Dabei kommt dem Leadership eine neue Rolle zu: Geschäftschancen erkennen, Prozesse beschleunigen und Mitarbeiter befähigen.“

Er bringt seine Überzeugung weiter auf den Punkt: „Für mich persönlich ist es die größte Lüge, dass die digitale Transformation vom Kulturwandel abhängig sei. Dafür gibt es keinen empirischen Nachweis. Der Kulturwandel ist ein Effekt der Transformation, aber keine Ursache.“ Als Beispiel nennt er About You. Das Online-Unternehmen war anfangs ein Projekt bei Otto. Der Impact dieses Projekts hat Veränderungen im gesamten Konzern erzeugt.

Tarek Müller, Alexander Graf, Nils Seebach
"Retrobild" aus alten Zeiten: Alexander Graf mit seinen etribes-Partnern Tarek Müller (links) und Nils Seebach (im Jahr 2012)

Serienunternehmer mit Fokus

Alex hat in seiner Laufbahn schon ein Dutzend Gründungen hinter sich, u.a. die Digitalberatung etribes mit seinen Partnern Tarek Müller und Nils Seebach.  Da stellt sich die Frage, wie man da den Überblick und Fokus behalten kann. Alex sieht das ganz pragmatisch: „Das mit den Gründungen hat sich immer ergeben, es war im Fluss. Ein Stein setzt sich auf den anderen und manchmal beschleunigen sich auch einzelne Projekte gegenseitig. Und darum geht es doch als Unternehmer: Man muss Skaleneffekte erzeugen.“ Das hat er mit seinem Netzwerk geschafft. Rückblickend kann er sagen, dass durch sein Handeln und die daraus entstanden Konstellationen mittlerweile Unternehmen entstanden sind, die 1500 Mitarbeiter beschäftigen. Darauf ist er sehr stolz.

Learning # 3: Diejenigen Leute, die einfach machen, werden gewinnen.

Alex ist in erster Linie Kaufmann und Analyst. Methodische Regelwerke, die er zu Studienzeiten noch gewälzt hat, sind heutzutage hinfällig. Die Digitalökonomie hat seine eigenen Regeln. „Die Kernfrage bleibt, wie man an den initialen Kundenzugang kommt. Mit der Zeit habe ich eigene Methoden entwickelt, die dann irgendwann ihren Niederschlag in meinem Buch fanden.“

Mit seinem renommierten Kassenzone Blog und Podcast hat er sich einen Namen als Fachjournalist gemacht. Für ihn ist diese Plattform pures Gold wert. Er genießt es, zu verstehen, wie andere ticken, zu hinterfragen, wie Geschäftsmodelle funktionieren, eine faire Bühne zu schaffen, die mannigfaltige Meinungen einholt und Diskussionen zulässt. Was ihn dabei antreibt sind Neugier und Haltung.

Learning #4: Wenn dein Wettbewerber über dich redet, hast du es geschafft.

Kritiker werfen ihm dagegen fehlende Neutralität und einen Interessenskonflikt zu seinem Business mit Spryker vor. Er geht damit selbstkritisch um: „Ich gehe ganz offen mit meinen Interessen um und das wissen die Leute auch. Ich weiß, dass ich der Rolle als Journalist nicht gerecht werde – oft fehlt mir der rote Faden, greife auch gerne mal vor oder lasse die Leute nicht ausreden ... Dazu bin ich einfach selbst viel zu tief im Business und habe eigene Meinungen, die ich dann auch loswerden muss. Ich müsste mich mehr darauf konditionieren, die Rolle des Moderators zu übernehmen.“

Zu 100 Prozent vernetzt

Mit Spryker landet Alex den größten Coup seiner Karriere: 2014 erfolgt die Auskoppelung aus dem Frühphaseninvestor Project-A und die Gründung zusammen mit seinem langjährigen etribes-Partner Nils Seebach. Nur drei Jahre später sammeln die beiden eine Kapitalspritze von 22 Millionen US-Dollar von Investor One Peak Partners ein. Damit sind die Wachstumsambitionen und der Erfolgsdruck groß: 100 Prozent Wachstum pro Jahr steht auf der Agenda. Die Investoren verlangen danach. Dem E-Commerce war in den letzten Jahren ein permanenter Boom beschert. Alex muss laut seiner eigenen Überzeugung dafür Sorge tragen, dass sein Unternehmen relevant bleibt. Dafür muss er immer die Nase vorn haben. Die Dinge werden nicht einfacher, das ist ihm klar. Umso wichtiger, dass er für die Sache brennt.

Learning #5: Man muss was machen, auf das man richtig Bock hat.

Woher er die ganze Energie nimmt? Er hat ein scheinbar einfaches Erfolgsrezept: „Ich interessiere mich für alles und mache mir keine Sorgen. Ich genieße den Freiheitsgrad, in dem ich agiere. Ich habe Hobbies wie Bogenschießen, für die ich mein Zuhause, einen Hof in Schleswig-Holstein, nicht verlassen muss. Wenn es Spryker nicht gäbe, würde ich es heute gründen. Ich lebe mit dem Markt und meinem Netzwerk, das sind alles Freunde und Bekannte, also Menschen mit denen ich gerne zu tun habe.“

Weiterführende Links

Alexander Graf im OMR-Podcast-Interview

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Sven Rittau auf der K5

K5 Macher Sven Rittau:
„Investoren sind der Anfang vom Ende deiner eigenen Firma“

Normalerweise ist Sven Rittau derjenige, der die Fragen stellt, wenn er im Cheftreff mit Branchengrößen aus dem Nähkästchen plaudert. Diesmal heißt es aber Rollentausch in seinem Podcast-Studio in der Winzererstraße in München: Sven gibt Einblick in seine unternehmerischen Erfahrungen und persönlichen Erkenntnisse. Wir sprechen über Werte und Wertschätzung, Persönlichkeitsfindung und die Grenzen traditioneller Denkweisen im digitalen Zeitalter. Und er gibt einen Ausblick auf die K5 2020. Ein Porträt über den leidenschaftlichen E-Commerce-Unternehmer und Macher der K5.

Rollentausch: changelog-Autorin Vera Vaubel interviewt Sven Rittau in seinem Cheftreff-Podcaststudio.

Sven ist schon als Kind vom Unternehmertum fasziniert - vielleicht, weil er selbst aus einem ganz anderen Umfeld kommt. Während er zu Schulzeiten sein Taschengeld bei Penny als Regalarbeiter aufpoliert, schnappt er sich die Lebensmittelzeitung, die sein Chef und Filialleiter abonniert hatte und verfolgt mit großem Interesse das Branchengeschehen. Dass er später tatsächlich im E-Commerce landet, ist dann einfach so passiert.

Seinen ersten Job tritt er als Unternehmensberater bei Roland Berger an. Seine Aufgabe: Eine Preisstrategie für die Großhandelssteuerung bei Viessmann Heiztechnik zu entwickeln. Dafür lebt er als Nomade aus dem Koffer. 60-Stunden-Woche steht auf der Tagesordnung, den Rest der Zeit verbringt er in Hotelzimmern. Nach knapp einem Jahr sieht er sich am Limit. „Am Ende eines solchen Projekts kann einen durchaus eine Sinnkrise überkommen. Da fragt man sich schon, was kommt danach?“

Aus Krisen wachsen

Etwa ein Jahr später, 1999, erfolgt die Gründung eines Online-Zoofachhandels. Zusammen mit seinen Mitgründern Cornelius Patt, Florian Seubert und Roland Honekamp verfolgt er mit großem Interesse den aufsteigenden Kometen in den USA, das Online-Geschäftsmodell von pets.com. So etwas gibt es zu dieser Zeit in Europa nicht. Er macht, was er im Studium im schweizerischen Fribourg und bei Roland Berger gelernt hat: eine umfangreiche Konsummarktanalyse. Das Gründerteam kommt zu dem Schluss, dass die Chancen gut stehen. Der Markt für Tiernahrung und –bedarf ist fragmentiert, preisstabil und es handelt sich um emotionale Convenience Produkte.

 

„Du brauchst immer in etwa fünf Jahre, um dein Business aufzubauen und zu etablieren. Dann spürst du merklich, dass dein persönliches Engagement Früchte trägt.“

 

Der Erfolg gibt ihnen Recht. Zooplus startet durch, Investoren steigen ein, das Start-Up expandiert ins Ausland. Rückblickend gibt Sven schmunzelnd preis: „Sobald du dir einen Investor reinholst, ist es der Anfang vom Ende deiner eigenen Firma. Natürlich gibt es dazwischen noch ein paar Abstufungen. Aber am Ende des Tages läuft es darauf hinaus.“

2001 platzt die Dotcom Blase – jegliche Art der Finanzierung ist auf Eis gelegt. Zooplus muss Auslandmärkte schließen und 30 Mitarbeiter entlassen. Das Gründerteam versucht, Deckungsbeiträge so gut es geht zu optimieren, um das Unternehmen vor der Insolvenz zu bewahren. Die Durststrecke dauert zwei Jahre, bis Zooplus wieder auf Kurs ist. Sein Learning von damals: „Krisen und Knappheit führen zu kreativen Lösungen. Und eigentlich sollte man jede Firma regelmäßig durch künstliche Krisen führen!“

Netzwerk als Grundqualifikation

Heute ist Sven auf seinem Karriereweg dort angekommen, wo er sich wohl fühlt und Ausgeglichenheit verspürt. Anfangs noch geprägt von Disziplin, Zielerreichung, Input-Output-Relation und dem Ziel, monetären Erfolg zu erreichen, sind für ihn an deren Stelle andere Werte getreten. „Das ist auch eine Lifestyle-Frage. Arbeit 24/7 ist wahrscheinlich eher was für die jüngere Generation“, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu. Für ihn ist die Wertschätzung seiner persönlichen Kontakte und seines Netzwerks sehr wichtig. Seine feste Überzeugung ist, dass Vernetzung heute ein absoluter Skill ist. Egal ob digital oder analog.

 

„Stelle dir erst das richtige Team zusammen, bevor du unternehmerisch tätig wirst.“

 

Seinen heutigen Geschäftspartner Jochen Krisch lernt er 2011 kennen – Sven ist Speaker auf der allerersten K5. Sie laufen sich immer wieder in verschiedenen Beiratskonstellationen über den Weg, in denen sie Jungunternehmern zur Seite stehen. 2013 ist für Sven ein „Hänger-Jahr“, wie er es nennt. Bei Shirtinator steckt er in einer Sackgasse, die Konstellation passt nicht mehr wirklich. Im damaligen Handelsumfeld sieht er nichts, wo er sich hätte mit Begeisterung engagieren wollen. Letztendlich entscheidet er aus Bauchgefühl, mit Jochen die K5 als Plattform weiter auszubauen.

K5: Haptik der Begeisterung

Von außen gesehen ist das zunächst eine explosive Konstellation, die sich formen muss. „Jochen – the brain, und ich – die Rampensau! Obwohl, ein bisschen Hirn hab ich auch“, lacht Sven. Es gibt in den ersten Jahren durchaus Reibungspunkte. Aber es gelingt den beiden relativ zügig, sich die komplementären Stärken zunutze zu machen.

Was beiden dabei hilft, ist gegenseitiges Vertrauen und eine strategische Weitsicht zu entwickeln. Sie finden die Schnittstellen, die es ihnen ermöglichen, ein gemeinsames Produktverständnis zu formen. Handel der Zukunft, neue Technologien, neue Modelle und Prozesse. Relevanter Content und ein Netzwerk mit Digitalkompetenz.

Auch die Frage danach, wie sich Wachstum im digitalen Wandel finanziert, woher das Kapital kommt und wie man das Investmentrisiko minimiert, eint die beiden Partner und führt stringent im Jahr 2015 zur Gründung des Glore50, dem ersten globalen E-Commerce Aktienfonds.

Selbst- und Fremdbild

Sven will Leute begeistern, Veränderungen anstoßen und inszenieren, weil ihm das ein gutes Gefühl gibt. Das tut er nicht aus altruistischen Gedanken heraus. „Die Empfindung, die ich dieses Jahr bei der K5 hatte, lässt sich für mich persönlich als Manifest beschreiben. Wir gestalten hier und jetzt gemeinsam die Zukunft und ich bin ein Teil davon! Auch wenn es esoterisch klingen mag, aber positive Impulse, die man gibt, werden als positive Energie wieder zurückkommen.“

Sven legt starken Wert auf Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung – und holt sich darin auch externe Unterstützung. „Die eigene Wahrnehmung ist eine sehr einseitige Sichtweise. Ich frage daher immer wieder Menschen, die mir wichtig sind, was sie an mir schätzen und was nicht. Das ist eine gute Methode, um seinen Charakter weiter zu entwickeln.“ So hat er ein klares Bild vor Augen, dem er wie einem Polarstern folgen und an dem er sich immer wieder orientieren kann.

Faszination Geschäftsmodell

Sven schwärmt von der „Schönheit eines Geschäftsmodells“. Das muss er näher erläutern: Wenn ein Problem auf eine andere Art und Weise gelöst wird und das dann ökonomisch Sinn macht. Innovation entsteht u.a. dann, wenn gegebene Faktoren neu kombiniert werden.

Er macht es an einem Beispiel im E-Commerce fest. Wenn man Retouren und Free Shipping als Teil des Geschäftsmodells von Anfang an mit einkalkuliert, kommt man eben auf andere Lösungen – bestes Beispiel ist Zalando. Picnic ist für ihn aktuell das andere Paradebeispiel im Food Bereich: Weg mit der klassischen DHL-Paketdenke, Entwicklung eigener Lieferfahrzeuge, angepasste App-basierte Routenplanung und der Fahrer wird Teil des Kundenerlebnisses.

Grenzen klassischer Denkweisen

Diese Art der Denke kann man seiner Meinung nach auch viel größer stricken. „Vermeide oder bekämpfe Probleme wie Armut, Zuwanderung oder CO2 Ausstoß ist ein alter Denkansatz. Da stoßen wir schnell an Grenzen. Der andere wäre, diese Themen wie eine Ressource bzw. Rohstoff und Teil unserer Gleichung zu behandeln.“ Traditionelle Denkweisen bringen uns nicht weiter.

 

„Content-First ist Maxime: Du musst es schaffen, dass die Leute über deine Inhalte diskutieren. Und den hohen Qualitätsanspruch konsequent verteidigen, besser noch weiter ausbauen.“

 

Das adaptiert er auch für sich persönlich. Er ist der festen Überzeugung, dass die K5 als Plattform durchaus noch ausbaufähig ist. Ideen dafür hat er schon im Kopf. Warum nicht Formate mit exklusivem Zugang zu Wissen und Digital Leadership konzipieren? Noch ist nichts spruchreif. Vielleicht wird das die Basis für ein Sprungbrett, im nächsten Schritt wirklich Veränderungen zu bewirken, die auch einen gesellschaftlichen Wert haben. Indem gegebene Faktoren neu kombiniert werden.

Nicht nur sein Job, sondern seine Leidenschaft: Sven Rittau eröffnet zusammen mit Jochen Krisch die K5 2019 in Berlin.

Ausblick K5 2020: Zehnjähriges Jubiläum

Für die Konferenz am 26./27. Mai 2020 hat er sich zusammen mit dem K5-Team viel vorgenommen. Schließlich feiert die K5 Zehnjähriges! Die Ausstellung ist schon so gut wie ausgebucht. Noch wird intensiv am Programmkonzept gearbeitet. Sven verrät schon mal so viel, dass es eine zweite Content-Bühne geben und sich die Konferenz internationaler ausrichten wird. Stay tuned!

 

 

 

 

Weiterführende Links

K5 2020

Cheftreff Podcast

Global Online Retail Fonds

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Online Marketing Rockstar Philipp Westermeyer

Digital-Rockstar Philipp Westermeyer:
„Der tatsächliche Wert der OMR sind meine Kollegen.“

Philipp Westermeyer, eine Ikone der Digitalbranche. Mit nur 39 Jahren ist der Gründer der Online Marketing Rockstars (OMR) einer der erfolgreichsten deutschen Internetunternehmer. Bei meinem Besuch in seinem Büro im Hamburger Schanzenviertel bekomme ich als erstes eine Führung durch die heiligen Hallen vom „Chef“ persönlich. Danach das Interview in einem loungigen Besprechungszimmer. Plötzlich huscht OMR-Kollege Rikkert mit einer Kamera rein: Foto-Shooting für die tägliche OMR Instagram Story. Er dokumentiert alles, was inhouse passiert und postet es auf Instagram. Ich lasse mich gerne über den neuesten Kult der Social Networks evangelisieren. „Instagram ist die aktuelle Welle“, erklärt mir Philipp in einem Nebensatz. Da müsse man leider doch dabei sein. Und was ist seine ganz persönliche Story? Ein Porträt über einen leidenschaftlichen Medienmacher.

Es ist schon immer Philipp Westermeyers Wunsch, in die Medienwelt einzusteigen. Die Erfolgsgeschichten der privaten Medienunternehmen wie der RTL Group oder der Kirchgruppe in den 90er Jahren faszinieren ihn. Er träumt von einem Job als Sportjournalist. Ein bisschen naiv, wie er heute schmunzelnd zugibt. Als Schüler jobbt er in seiner Heimatstadt Essen u.a. bei der WAZ im Lokalsport und bei Radio Essen und saugt die Funktionsweise von Medienunternehmen in seine DNA ein. Die bleibende Erkenntnis: Für ihn erstrebenswert ist vielleicht doch eher ein Job als Produzent oder als Medienmanager. Denn in dieser Position ist man vordergründig zumindest weniger abhängig.

Ein Synonym: Philipp Westermeyer und die OMR

Steile Karriere als Internetunternehmer

Nach dem Studium schafft er den Einstieg als Vorstandsassistent bei Bertelsmann. Kurze Zeit später wird er Investment Manager von Gruner + Jahr New Media Ventures. Eine gute Position, um hautnah mitzubekommen, was in der Medienbranche gerade los ist. Die Goldgräberstimmung rund um die aufsteigenden Social Web Communities ist gigantisch. Er erlebt, wie damals StudiVZ bei den Verlagen zur Übernahme feilgeboten wird, der Deal am Ende an die Holtzbrinck Gruppe geht und die Gründer sehr viel Geld bekommen. Daraufhin sucht er sein eigenes Gründungsthema und wird zunächst mit SEO-Seiten, später mit Technologien für Online-Advertising fündig.

Einige selbst getextete und für Google konzipierte SEO-Seiten später gründet er zusammen mit Tobias Schlottke und Christian Müller den Restplatzvermarkter adyard und verkauft ihn nach nur eineinhalb Jahren an die Bertelsmann-Tochter Ligatus. Wenig später starten die Drei die auf Display-Advertising und Real-Time Bidding spezialisierte Firma metrigo. Er verkauft die Gesellschaft an die Axel Springer-Tochter Zanox. Doch der Deal wird aufgrund von Differenzen um die Ausrichtung rückabgewickelt und geht an die Gründer zurück. Er startet einen zweiten Versuch und findet mit Zalando erneut einen Abnehmer.

Die Technologie Black-Box

Philipp blickt auf diese Zeit mit gemischten Gefühlen zurück. Obwohl er seine gegründeten Firmen erfolgreich auf die Straße bringt  und gut veräußern kann, empfindet er in dieser Phase ein gewisses Unwohlsein. Was ihn bei den Werbetechnologie-Firmen stört, ist, dass er selbst die Software nicht beherrscht und bei Entscheidungen über die Machbarkeit und Umsetzung von den Einschätzungen der Entwickler abhängig ist. „Es war wie eine Black-Box. Ich wollte Dinge bewegen und musste mir von den Softwareentwicklern sagen lassen, dass es nicht geht. Kein gutes Gefühl, sich so von anderen abhängig zu machen. Mich ständig absichern und mich auf die Einschätzung anderer verlassen zu müssen, das ist eigentlich so gar nicht mein Ding.“

Das mit OMR ist eine ganz andere Sache. Seine Leidenschaft zu Medien lässt in Philipp eine Idee heranreifen. 2011 debütiert OMR im klassischen Konferenzformat mit 200 Teilnehmern, acht Jahre später ist es ein internationales Festival mit 50.000 Teilnehmern und eine Organisation, die übers ganze Jahr eine treue, stets wachsende Community über den Blog, Podcasts, Reports und einer Jobbörse mit Content versorgt.

Der Weg dahin ist mit einigen „Geburtsstrapazen“ verbunden, wie er selbst zugibt. Philipp brennt für die OMR. „Bei der OMR könnte ich theoretisch jederzeit jede Aufgabe selbst übernehmen. Natürlich steckt mein Team viel tiefer im Detail und die machen einen ausgezeichneten Job. Aber ich weiß was Sache ist – bei jedem einzelnen!“ Bei anstehenden Entscheidungen kann er einschätzen, was geht und was nicht geht.

Primus inter pares

Das macht ihm die Rolle als Leitfigur einfacher und das spiegelt sich auch in seinem Führungsstil wieder. Er ist der Primus inter Pares, der Erste unter Gleichgesinnten, der das Team demokratisch führt. „Hier arbeiten meine Freunde, wir sind ein Team, ein Netzwerk. Nur weil ich Gründer und Unternehmer bin, habe ich keine andere Stellung als die anderen. Natürlich versuche ich, dem Team einen Rahmen zu geben und tue dafür mein Bestes.“ Er schätzt das als Privileg, das merkt man ihm an, auch wenn man ihm zum ersten Mal begegnet. Seine Einstellung prägt nachhaltig die Unternehmenskultur. Von seinen Mitarbeitern wird er freundschaftlich, respektvoll „Der Chef“ genannt. In der Unternehmensgeschichte gibt es bisher nur drei Kündigungen, darauf ist er sehr stolz.

Wertschätzung ist für ihn ein wichtiges Element. 75 Mitarbeiter stecken jeden Tag ihre Inspiration und ihr Engagement in die Marke OMR. „Der eigentliche Wert der OMR sind meine Kollegen.“ Auf die Frage, ob es schwierig sei, gute und passende Leute zu finden, antwortet er gelassen. „Es ist vergleichbar mit der Parkplatzsuche in Elmsbüttel (Hamburger Stadtteil, Anmerkung der Redaktion). Man findet vielleicht nicht auf Anhieb einen, schon gar nicht vor der Haustür. Aber dreht man ein paar Runden um den Block, wird einer frei. Man muss Geduld haben und sich die Zeit nehmen.“

Die Brand OMR oder Personality Westermeyer?

Sich selbst sieht Philipp mehr als Medienmacher, weniger als ein Digitalmacher – wobei das für ihn heute nicht mehr trennbar ist. Er weiß, dass ohne seine Person das Brand Building nie so gut funktioniert hätte. „Immer schon waren erfolgreiche Medienmarken stark von Personen abhängig. Ich denke da an Rudolf Augstein und Der Spiegel. Oder Thomas Gottschalk und Wetten Dass?. Oder international Henry Blodget, der für Business Insider steht.“ Er empfindet das als Stärke und Schwäche gleichzeitig.

Medienmacher, die stark personifiziert nach außen auftreten, haben einen klaren Vorteil. Sie können authentisch kommunizieren. Es ist das Phänomen des persönlichen Kontakts mit der Zielgruppe, eine Art partnerschaftlichen Auseinandersetzung. „Parasoziale Beziehung nennt man das – das habe ich im Studium gelernt“, fügt er mit einem Grinsen hinzu.

Magazinmacher in Teilzeit: Barbara Schöneberger, Guido Maria Kretschmer, Joko Winterscheidt und Jérôme Boateng. Ab Mai auch Philipp Westermeyer! (Foto: Collage: SZ/dpa(3), Getty)

Sein neuestes Projekt zahlt genau darauf ein. In Kooperation mit dem Hamburger Abendblatt wird im Mai das Personality-Magazin „Philipp“ aufgelegt. Es war die Idee des Abendblatt-Chefredakteurs Lars Haider, der ihm den Vorschlag für das Print-Pilotprojekt unterbreitet. Das Magazin soll einen ganz klaren, regionalen Fokus haben und die ganze Region Hamburg für die Themen des OMR Festivals begeistern. „Für mich persönlich hat das ehrlich gesagt eine kleine Portion an Selbstironie. Ich weiß genau, dass ich nicht prominent bin wie eine Barbara Schöneberger oder ein Jerome Boateng, die als Testimonials und journalistische Blattmacher den Verlagen zu neuen Reichweitenrekorden verhelfen sollen. Ich bin eher der Nischentyp.“

Redaktionell hat Philipp einen klaren Plan für das Magazin, das pünktlich zur Eröffnung des OMR Festivals am 7. Mai an den Hamburger Kiosken erhältlich sein wird. Dazu gehören zum Beispiel Porträts von hidden digital Champions oder eine persönliche Reportage über erfolgreiche deutsche Rapper, die Instagram-Phänomene sind.

Es ist ihm durchaus bewusst, dass es auch ein unternehmerisches Risiko birgt, die Marke OMR auf seine Person auszurichten. Daher hat er in den letzten Jahren immer darauf geachtet, dass auch sein Team mehr und mehr in der Öffentlichkeit steht. So ist das Redaktionsteam rund um Roland Eisenbrand für fast alle Inhalte  der OMR verantwortlich und werden sichtbarer. Auch OMR-Podcast-Chef und Ex-Basketball-Profi Vincent Kittmann rückt immer öfter für Interviews ins Rampenlicht.

Begeisterung für Podcasts

Medienkonsum wird sich seiner Meinung nach weiter dramatisch verändern. Organische Reichweite zu bekommen, wird immer schwieriger. Um Zielgruppen zu erreichen, muss man neue Formate testen, testen, testen. So macht er es selbst auch gerade mit Instagram. Philipp weiß, wovon er spricht. Vor vier Jahren ist er einer der First Mover in der Produktion und Vermarktung von Podcasts. Der OMR-Podcast zieht heute wöchentlich 40.000 Hörer in den Bann. Auch für externe Partner vermarktet die OMR Podcasts, zu den größten Projekten zählt der Podcast awfnr mit Joko Winterscheid und Paul Ripke.

„Wir haben das Podcast-Format frühzeitig für tolle Storys genutzt, das wissen unsere Nutzer zu schätzen.“ Mit Podcasts kann man einfach ganz nebenbei Content konsumieren. Menschen nutzen heutzutage ihre Zeitfenster ganz anders als sie es früher getan haben. Radio on-demand macht es möglich. Zu jeder Zeit an jedem Ort das hören, was man möchte und was einen interessiert.

Das Podcast-Geschäft professionalisiert sich zunehmend. Kein Wunder, das Vermarktungspotenzial ist enorm, die Content-Qualität nimmt stetig zu. Viele Publisher springen auf die Podcast-Welle auf. Jüngstes Beispiel dafür ist Ex-Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart mit seinem Morning Briefing Podcast, in dem er täglich illustre Gäste aus Politik und Wirtschaft zum Weltgeschehen zu Wort kommen lässt.

"Dinner Berlin" - die Gäste: Philipp Westermeyer, Lea Lange, Cem Özdemir, Annegret Kramp-Karrenbauer, Alex Karp, Sonja Jost und Mathias Döpfner (v.l.) (Fotos: Hannes Holtermann)

Die politische Dimension des Digitalen

Auch Philipp lässt nichts anbrennen. Er startet im Januar zusammen mit Axel Springer Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner den digitalen Polit-Podcast „Berlin Dinner“. Bei einem gemeinsamen Abendessen talken die beiden mit profilierten Vertretern der Digitalökonomie, Gründern und Politikern. Die Reihe soll zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten in loser Folge ohne feste Termine stattfinden. Die Dinner Diskussion wird jeweils als Podcast und mit Videoausschnitten über digitale Kanäle und soziale Netzwerke verbreitet. Im Auftakt-Podcast diskutieren Gäste wie CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Grünen-Politiker Cem Özdemir über die Fragen der digitalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Vergleich zu China und den USA.

Philipp sieht sich dabei in einer gewissen Verantwortung als Medienmacher. „Im Digital- und Medienbusiness kommt man nicht mehr drum herum, auch politisch zu denken und mit zu gestalten. Allein die Fragen, die sich hinsichtlich Datenschutz und Plattformökonomie politisch stellen, darauf muss man eingehen.“

Vision und Persönliches

Ebenso sieht er seine Mission, den Mittelstand jenseits der Metropolen Berlin, Hamburg und München mit den digitalen Themen abzuholen. Er will für klassische Industrieunternehmen eine Plattform für Know-how im digitalen Business und für Weiterbildung schaffen.

Auch über Internationalisierungspläne denkt er nach. Zwei Mal wird er bereits aus dem asiatischen Raum auf eine Expansion angesprochen. „Das würde aber für mich bedeuten, viel Zeit in Asien zu verbringen. Das kann und will ich in meiner aktuellen Lebenssituation mit meiner Familie nicht. Das ist entschieden.“ Für ihn gibt es aber immer einen Weg. Er bringt einfach die Digital Leader*innen aus aller Welt auf das Festival nach Hamburg.

Interview mit OMR-Chef Philipp Westermeyer
changelog.blog Autorin Vera Vaubel im Interview mit OMR-Gründer Philipp Westermeyer in Hamburg

Weiterführende Links

OMR Festival

Dinner Berlin Podcast

 

 

 


Anne Kjaer Richer, Founder ReDI School

Porträt über die „Mutmacherin des Jahres 2018“ Anne Kjaer Riechert:
Wie digitale Integration funktioniert

Anne Kjaer Riechert ist Gründerin der ReDI-School, eine Programmierschule für Flüchtlinge und Organisation für digitale Integration. Vom Handelsblatt wurde sie letzte Woche zur „Mutmacherin des Jahres 2018“ gekürt. Auf dem Charity Brunch „What’s your Jouney?“ Anfang Dezember in München stellt sie ihr neuestes Projekt vor: ReDI Women – ein spezielles Schulungsprogramm für geflüchtete Frauen, das hilft, digitale Fähigkeiten zu entwickeln, Netzwerke aufzubauen und Selbstständigkeit zu fördern. Anne liegt dieses Projekt besonders am Herzen, will es weiter ausbauen und sucht dafür finanzielle Unterstützer. Um meinem Netzwerk Annes Spirit und Antrieb näherzubringen, darf ich sie auf ihrer ganz persönlichen und wie ich finde sehr bewegenden Reise begleiten. Ein Porträt einer sehr inspirierenden Frau.

Annes Geschichte beginnt schon vor ihrer Geburt. Nämlich mit ihrer Familiengeschichte. Ihre Großeltern haben in Deutschland den ersten Weltkrieg erlebt und sich geschworen, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Sie werden Pazifisten und Verfechter der Demokratie. Sie produzieren in ihrem Familienbetrieb, einer Druckerei in Heide, pazifistische und sozialdemokratische Bücher und Schriften. Das passt den aufstrebenden Nationalsozialisten nicht, die Großeltern werden mehrmals verhaftet, die Druckerei gerät immer mehr unter Beschuss. Bei der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 treffen die Großeltern eine schwere Entscheidung, nämlich zu flüchten.

80er Jahre. Anne wächst in Dänemark auf. Ihre Eltern erzählen ihr immer wieder die Geschichte und sie verinnerlicht ein Mantra: Man muss um Werte kämpfen und dabei auch manchmal schwere Entscheidungen treffen. Als Einzelkind wächst sie in einem Umfeld auf, das sie viel an Diskussionen mit Erwachsenen teilhaben und sie immer wieder die Warum-Frage stellen lässt. Sie ist neugierig und idealistisch.

Scheitern am Business Case NGO

Sie absolviert ein Innovationsstudium an der privaten Business School Kaospilot in Dänemark. Sie wird dort inspiriert von der Methodik, Produkte und Dienstleistungen nach realen menschlichen Bedürfnissen zu gestalten und nicht nach Vorgaben von Gewinnmaximierung oder von technischer Entwicklung. Nach ihrem Studium startet sie ihr eigenes Projekt "Kids have a Dream", das Teenagern auf der ganzen Welt dabei hilft, ihre Träume für die Zukunft zu definieren und zu verfolgen. Mehr als 4000 Kinder in über 30 Ländern haben in den vergangenen zwölf Jahren teilgenommen. Sie ist jedoch nicht in der Lage, das Projekt auf ein fundiertes Geschäftsmodell zu stellen. Die Lektion, die sie daraus lernt und sie bis heute begleitet: „NGOs müssen auch Geld verdienen, um die Belegschaft zu bezahlen. Wenn nicht, ist das Projekt weder nachhaltig noch skalierbar.“

 

„ Ich habe eigentlich nie einen Job durch eine Bewerbung bekommen.
Ich wurde immer durch mein Netzwerk empfohlen oder geleitet.“

 

Als externe Beraterin arbeitet sie drei Jahre lang in Kopenhagen, u.a. für Samsung Electronics. Dort ist sie für die Entwicklung und Umsetzung einer Strategie für nachhaltige Unternehmensführung in Skandinavien verantwortlich. Sie lernt, wie man gewinnorientierte und gemeinnützige Organisationen zusammenbringt. Wie man Projekte entwickelt, die für beide Seiten von Vorteil sind. Die Arbeit im Konzern macht ihr Spaß und sie ist erfolgreich, für ihren Geschmack aber noch nicht innovativ und wirkungsvoll genug. Sie entscheidet sich für ein weiteres Studium, und bekommt bei Rotary ein Stipendiat für ein zweijähriges Master-Studium in Friedens- und Konfliktforschung in Japan.

Digitale Integration

Danach zieht sie es nach Berlin. 2013 gründet sie in Zusammenarbeit mit der Stanford University das Berlin Peace Innovation Lab. Das Netzwerk wächst innerhalb von drei Jahren zu einer Gemeinschaft von 1700 Menschen. „Wir haben einen monatlichen Co-Creation-Workshop ins Leben gerufen, um die lokalen sozialen Herausforderungen in Berlin zu diskutieren und Ideen zu erarbeiten, wie diese gelöst werden können.“ Im April 2016 sitzt sie mit 40 Teilnehmern im Berliner Rathaus zusammen, um Ideen für die Unterstützung der Asylbewerber, die zu dieser Zeit nach Deutschland kommen, zu erarbeiten. „Wir hatten viele Stakeholder am Tisch - aber die wichtigsten fehlten: Die Flüchtlinge selbst.“ Sie fängt an, die Flüchtlingslager zu besuchen, um die wirklichen Bedürfnisse richtig zu verstehen - und mit den Menschen selbst zusammenzuarbeiten, um Lösungen zu finden.

Mark Zuckerberg trifft auf Rami Rihavi aus Alappo, der von einem Virtual Reality Projekt erzählt.
Begegnung zweier Tech-Geeks: Mark Zuckerberg und Rami Rihavi aus Alappo in der ReDI School.

Anne vergisst niemals, wie sie dort Mohammed begegnet, einem Programmierer aus dem Irak. Er hat Spaß am Programmieren, würde auch gerne arbeiten. Er besitzt aber weder einen Labtop noch das Netzwerk, um einen Job zu finden. Da kommt ihr der Gedanke: Warum nicht Technologien nutzen, um soziale Probleme zu lösen? Sie schreibt auf Facebook einen Post und fragt ihre Community, wer sie dabei unterstützen könne, Menschen wie Mohammed zu helfen. Mit der positiven Resonanz hätte sie nicht gerechnet. 30 Personen wollen gleich aktiv mitarbeiten. Bieten Hilfe in Form von Sachspenden wie Labtops an, erklären sich bereit, ehrenamtlich Kurse zu geben, stellen Räumlichkeiten zur Verfügung. Oder wollen einfach einen selbstgebackenen Kuchen mitbringen.

Fit für den deutschen Arbeitsmarkt

So entsteht die Idee der "Refugee on Rails", die sich später zur ReDI School entwickelt. „Ich kann selbst nicht programmieren - daher habe ich keine Tech-Schule gegründet, um meine eigenen Fähigkeiten einzusetzen. Stattdessen ist die ReDI School eine sehr pragmatische Lösung, um den Newcomern in Deutschland, der deutschen Wirtschaft und der deutschen Gesellschaft zu helfen.“ Es kommen viele Geflüchtete nach Deutschland, die Programmier-Vorkenntnisse haben oder zumindest technikaffin sind. Anne will diesen Menschen eine Perspektive geben und die schlummernden Talente fit für den deutschen Arbeitsmarkt machen. Bedarf ist allemal da: Es gibt in Deutschland laut Bitkom über 55.000 unbesetzte IT-Jobs. Eine feste Arbeitsstelle zu haben, ist ihrer Meinung nach Grundvoraussetzung für Integration.

 

„Wir müssen eine Plattform schaffen, auf der sich die Menschen
durch ein gemeinsames Interesse leicht verbinden können: Technologie.“

 

Zunächst startet Refugee on Rails mit einer „Wir-schaffen-das-Euphorie“, aber schnell kommen Anne und ihre ehrenamtlichen Helfer an ihr Limit. Auch aus eigenen Erfahrungen in der Vergangenheit weiß sie, dass sie es nur schaffen kann, wenn sie eine gemeinnützige Organisation als Unternehmung aufbaut. In dieser Findungsphase spielen ihre Partner Weston Hankins und Ferdi van Heerden eine große Rolle. „Wir haben fünf Monate lang Konzepttests durchgeführt, bevor wir dann tatsächlich die Organisation gegründet haben. Wir hatten auch enormes Glück, von Anfang unseren ersten Unternehmenspartner Klöckner & Co an Bord gehabt zu haben, die uns monetär unterstützt haben. Ansonsten hätten wir es nicht geschafft.“

Dann kommt Mark Zuckerberg zu Besuch in die ReDI-School. Ein persönlicher Meilenstein für Anne. Denn Mark Zuckerberg trifft auf Rami Rihavi aus Alappo, der von einem Virtual Reality Projekt erzählt, das er plant, um mit seiner Mutter in Aleppo sprechen und dabei seine Heimat sehen zu können. Umgekehrt soll seine Mutter sehen, wie er lebt. Ein Milliardär trifft einen Flüchtling – so scheint es von außen. Aber innerhalb weniger Minuten entwickelt sich ein Gespräch zwischen den beiden und es sind zwei Tech-Geeks, die sich unterhalten. So schnell verschwinden vermeintliche Grenzen. Für Anne ist dies einer dieser Aha-Momente, in denen sie merkt, dass sie das Richtige tut.

Umgang mit Bürokratie und Widerstand

Angela Merkel zu Besuch in der ReDI School
Politischer Besuch in der ReDI School: Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht mit den Student*innen

Das Richtige zu tun, ist nicht immer einfach. Anne muss einige Hürden nehmen und braucht langen Atem. Für die deutsche Bürokratie hat sie fast nur ein Kopfschütteln übrig. Etwa, als sie vier geflüchtete Frauen in der ReDI School einstellen will und an der Antragsstellung beinah scheitert. Oder die Anerkennung als Weiterbildungsinstitution, mit der die ReDI School offiziell Diplome ausstellen kann: ein monatelanger Aufwand für das Team, verbunden mit hohen Kosten. Ohne Spendengelder nicht möglich. Mit welcher Leichtigkeit sie davon erzählt, lässt erahnen, dass sie niemals die Geduld verliert. Beharrlich und mit viel Durchsetzungsvermögen setzt sie ihre Arbeit fort. „Ich fange einfach mal an. Es ist ein iterativer Prozess, manche Dinge kappen auf Anhieb, manche nicht. Und daraus lerne ich.“ Sie spricht das Mysterium des Hummelflugs an. „Manchmal fühlt sich das so an. Da die Hummel ja nicht weiß, dass sie nicht fliegen kann, tut sie es einfach trotzdem", fügt sie lachend hinzu. Es ist harte Arbeit, aber das empfindet sie nicht so. Denn sie sieht etwas wachsen, was sinnstiftend für die Gesellschaft ist.

Politischen Widerstand von rechts bekommt sie glücklicherweise wenig zu spüren. Offenheit und Dialog schützt sie davor, davon ist sie überzeugt. „Unsere Türen im Berliner und Münchner Büro stehen für alle offen. Wenn jemand Fragen dazu hat, was wir tun, kann er gerne zu mir kommen und mit mir bei einem Kaffee über die Differenzen sprechen.“ Sie versteht, dass viele Menschen Ängste haben und deshalb sehr kritisch gegenüber Integration sind. Sie gibt einen Rat: „Hört auf, über Flüchtlinge zu reden, fangt an mit Flüchtlingen zu reden“. Es macht einen Riesenunterschied, wenn man die Leute, die man in die Schublade „Flüchtlinge“ gesteckt hat, persönlich kennt - und erkennt, dass es viel mehr Gemeinsamkeiten gibt als das, was sie voneinander unterscheidet.

Diversität - auch bei der ReDI School

Nach zwei Jahren Coding-Kurse für Newcomer, stellt sie fest, dass nur 10 Prozent weibliche Teilnehmerinnen in den Kursen präsent sind. Um das zu ändern, setzt sie und ihr Team Co-Creation Workshops mit Frauen verschiedener Hintergründe auf, um ein Programm zu gestalten, das den Bedürfnissen der Frauen entspricht. „Seit Anfang September läuft unser 'Digital Women Programme' in München. Anfangs haben wir mit 25 Teilnehmerinnen geplant, aber die Nachfrage ist so groß, dass wir mehr Frauen unsere Schulungen ermöglichen wollen.“ Dazu läuft eine Spendenkampagne auf der Plattform Betterplace.org

 

„Was wir für die geflüchteten Menschen tun, tun wir in Würde und Demut.“

 

Das ist nur eines der Projekte, die für 2019 auf ihrer todo-Liste stehen. Schulungsprogramme für Frauen will sie kontinuierlich ausbauen und das ReDI-Kids-Programm in Berlin weiterentwickeln: „Unsere ehemaligen Schüler sollen zu Lehrern ausgebildet werden, um sowohl deutsche als auch Migrantenkinder IT zu unterrichten. Denn digitale Bildung ist der Schlüssel – alle Gesellschaftsschichten brauchen Zugang dazu.“ Die Gründung einer ReDI School am Standort Hamburg steht ebenfalls auf ihrem Plan.

Aber auch persönlich hat Anne sich für das kommende Jahr Ziele gesetzt. Sie will eine witzige Facebook-Selbsthilfegruppe "Karma Kaolation" ins Leben rufen und alle Menschen ansprechen, die wie sie in Zukunft weniger konsumieren wollen. Zum Beispiel keine neuen Klamotten mehr kaufen. „Ich denke, hinsichtlich unseres Konsums braucht die Welt eine radikale Veränderung. Ich werde ein kleines bißchen dazu beitragen und versuchen, auch mein Verhalten zu ändern, um umweltfreundlicher zu sein.“ Sie möchte aber auch Zeit für sich selbst finden, um in der Natur Kraft zu schöpfen. Sie ist gerade dabei, mit ihrem Partner eine Farm im Wendland in Niedersachsen zu kaufen. „Ich arbeite viel, deshalb ist es schön, am Wochenende einen Ort zu finden, an dem Ruhe und Frieden herrscht. Und genug Zeit, um mit Freunden und Familie am Lagerfeuer zu sitzen und über die Dinge zu sprechen, die uns wichtig sind.“ Dinge, die die Welt ein bisschen besser machen.

 

Weiterführende Links

Spendenaufruf für das ReDI Women Programme

ReDI School

Facebook-Selbsthilfegruppe Karma Kaolation


t3n, yeebase media GmbH

t3n-Gründer Andy Lenz im Porträt: „Es ist eine Frage der Zeit, wann zentrale Plattformmodelle abgelöst werden“

Andy Lenz ist Mitgründer der t3n, dem Magazin für digitale Zukunft, und hat eine enorme Erfolgsgeschichte als Herausgeber und Publizist hingelegt. Wir kennen uns seit den Anfängen der t3n und ich schätze ihn als zuverlässigen und inspirierenden Gesprächs- und Kooperationspartner. In einem sehr persönlichen Interview gibt er mir Einblicke in seine Denk- und Arbeitsweise, seine Ideale über die Zukunft, in der die Digitalisierung zu mehr Wohlstand und Gleichverteilung führen soll. Ein Porträt über einen digitalen Pionier.

Andy macht nach dem Abitur beruflich das, was er damals richtig gut kann: Events. Als Selbständiger organisiert er neben Partys auch Clubtouren und tingelt durch die Weltgeschichte. Kein Lebenskonzept auf Dauer, das merkt er schnell. Irgendwie macht er das Geschäft aber doch zehn Jahre lang. Er ist jung. Irgendwann kommt er an den Punkt, wo er einen Ausstieg sucht. Ausstieg durch ein Studium. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits 27 Jahre alt. Er braucht einen Plan, um das schnellstmöglich durchzuziehen. Mit seinem Freund Martin Brüggemann schafft er das Studium Informationsmanagement in gut der Hälfte der Regelstudienzeit mit einem unkonventionellen Konzept: Die beiden teilen sich die Vorlesungen auf, reichen sich Skripten weiter und schulen sich gegenseitig.

Anfänge des Pioniers

t3n Digitale Pioniere
Aktuelles t3n Cover, November 2018. Schwerpunktthema ist "Digitalisierung - was kommt danach?"

An der Fachhochschule Hannover treffen die beiden auf den Journalisten Jan Christe, damals als Hilfswissenschaftler am Lehrstuhl tätig. Er unterstützt sie bei der Idee, ihre Diplomarbeit als Print-Magazin zu veröffentlichten und bringt seine journalistische Kompetenz mit ein. Dann kommt eines zum anderen und lässt sich als Dominoeffekt beschreiben. Die Themen OpenSource und TYPO3, über die sie als First Mover im deutschsprachigen Raum den Content veröffentlichen. Andys Onkel, der im Druckgewerbe arbeitet und ihnen die Möglichkeit verschafft, eine Auflage von 5000 Exemplaren zum Selbstkostenpreis zu drucken. Eine Content-Marketing-Strategie sowie 1000 kostenfreie Magazine als Growth-Hack-Start. Sparringspartner golem.de und heise.de, die mit ihrer enormen Reichweite den Magazinverkauf maßgeblich treiben, sorgen dafür, dass die Ausgabe nach wenigen Tagen vergriffen ist. Und das altbewährte Verlagskonzept, über den Heftversand Daten von Lesern abzugreifen. So baut man Communities auf.

Darauf folgt die Erkenntnis: „Ok, wir sind jetzt ein Start-Up! Wir hatten kein Büro, unsere Idee ist auf unseren WG-Sofas entstanden“, erinnert sich Andy. Und dann haben die drei die Ausschreibung von HannoverImpuls und der Sparkasse an der Uni hängen sehen: Ein Businessplanwettbewerb mit einem Preisgeld von 18.000 EUR für den Sieger. „Da war uns klar, das müssen wir durchziehen.“ Es folgt die Gründung einer GbR, der Businessplanentwurf auf Basis der Diplomarbeit, die Wettbewerbseinreichung. Und am Ende gehen die drei im Jahr 2005 mit einer Grundausstattung an Startkapital als Sieger aus dem Wettbewerb hervor.

Kritische Größe bei Start-Ups

Den daraus resultierenden Erfolg, kann Andy heute rückblickend nur mit dem konsequentem Handeln, Qualitätsbewusstsein und dem Willen zum Erfolg erklären. Er schafft es mit seinen Mitgründern, ein kontinuierliches, lineares Wachstum einer Print- und Onlinepublikation hinzulegen. Im Gegensatz zum allgemeinen Trend der Verlagsbranche, die mit rückläufigen Zahlen zu kämpfen hat. „Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, in einer Krise zu stecken und das meine ich nicht überheblich. Wir gehen in Planungen nicht von „best cases“ aus und arbeiten immer mit großem Puffer.“ Andy ist dankbar, dass die Geschäftsidee und das Businessmodell seit über 10 Jahren jährlich beständig ca. 20 Prozent wachsen. Es hätte auch anders laufen können.

"Organisationsentwicklung ist ein Strategiespiel wie Risiko oder Monkey Island."

Die größte Herausforderung sieht er, als sein Unternehmen die kritische Größe von 30 Mitarbeitern überschreitet. Er bezeichnet das als Meilenstein, weil sich ab diesem Zeitpunkt alles verändert. Nicht nur für ihn, Martin und Jan. Auch für alle anderen Mitarbeiter. „Bei unter 30 Leuten ist man als Gründer noch mittendrin – bekommt alles Operative mit. Danach wird es schwierig. Das fängt mit Kleinigkeiten an, wie z. B. dass alle nicht mehr gemeinsam zum Mittagessen gehen. Dass man plötzlich nicht mehr auf einer Etage arbeitet. Dass nicht mehr alle in einen Meetingraum passen. Der Kommunikationsaufwand wächst exponentiell und man merkt schnell, dass Flurfunk allein nicht funktioniert und wie wichtig Management-, Kommunikations- und Leadershipskills plötzlich werden.“

Holokratie: Effektiv ohne Chef

An diesem Punkt stellt sich natürlich für Andy die Frage, wie man sich als unternehmerische Organisation strukturiert. Obwohl klassisch begonnen, kommt ein hierarchisches Pyramiden-Organigramm für ihn nicht infrage. „Wir wachsen schnell, wir propagieren überall agiles Arbeiten – da können wir unsere Organisation nicht old school strukturieren. Außerdem entspricht das nicht meiner Überzeugung.“ Also stellen die inzwischen vier Geschäftsführer die Firma in Clustern nach Themen auf, die wiederum in Teams unterteilt sind. Die Struktur ist flexibel und ändert sich, wenn sich die Anforderungen verändern. Die Menge an Entscheidungen und Ideen, die im Team gecrowdsourced werden, wächst. Vorbild ist u.a. das von Spotify kultivierte Squad-Framework. „Ziel ist es, den Grad an Eigenverantwortung und Transparenz in den Clustern, bei uns Units genannt, und den darin liegenden Teams Jahr für Jahr zu erhöhen. Ein spannender Prozess, bei dem hier und da noch Rahmenbedingungen fehlen. Es gibt viel gemeinsam zu lernen!“

"Skills lassen sich lernen und vermitteln, Charakter nicht."

Er glaubt fest daran, dass self-managed Teams mit Eigenverantwortung funktionieren, wenn man Stück für Stück die richtigen Voraussetzungen dafür schafft. Dazu gehört in erster Linie, dass jeder Einzelne lernt, unternehmerisch zu denken. Weiter muss die Vision, Kultur und Identität der Firma glasklar und gemeinsam definiert sein. Hierzu wird im Team, über 18 Monate hinweg ein sogenanntes BrandBook entwickelt, dass jedem Mittarbeiter und Partner ausgehändigt wird. Andy interessiert sich für Holokratie als Führungsstil – im Prinzip das Führen ohne Chef. Er hält dies in Reinform zwar für unrealistisch und sagt, dass das schwer umzusetzen ist. Die  Gefahr droht, im Chaos zu enden. Dennoch gewinnt er auch diesem Managementprinzip etwas ab. „Wir stecken immer noch im Prozess – sowas hört nie auf. Spielerisch und iterativ addieren wir, was hilft, Sinn macht und uns zugutekommt: Das Team, aktuell bestehend aus 70 Mitarbeiter*innen, ist jung. Das Durchschnittsalter beträgt 28 Jahre, viele sind digitale Nomaden. Digitale Pioniere wollen das nicht anders und suchen immer nach neuen Wegen."

Motivation und Inspiration

Für ihn persönlich ist seine Arbeit und die Organisationsentwicklung wie ein Strategiespiel. „Früher habe ich stundenlang mit meinen Freunden Risiko oder Monkey Island gespielt – die Parallelen zu heute sind erstaunlich. Daher auch die Idee mit den Digital Pioneers: Da assoziiere ich Enterdeckertum und Abenteuerlust.“ Er sucht das Abenteuer und wägt dabei gleichzeitig das Risiko ab. „Trial and error“, und das mit seinen besten Freunden im Job – sein persönliches Umfeld motiviert ihn enorm. Seinen eigenen Charakter beschreibt er als kreativ, frech und humorvoll. Das spiegelt sich auch in der DNA der t3n wieder. Er legt großen Wert darauf, dass das Team zusammen passt. „Beim Recruiting legen wir mehr Wert auf einen guten und zu uns passenden Charakter mit guten Vorraussetzungen, als rein auf die tatsächlichen Qualifikationen zu blicken. Skills lassen sich lernen und vermitteln, Charakter nicht.“

"Es ist eine Frage der Zeit, wann die datengetriebenen, siloartigen, zentralen Plattformmodelle abgelöst werden."

Gleichzeitig sucht Andy die Inspiration durch den Austausch mit jungen, agilen Unternehmen. Er verschafft sich Zugang zu den Protagonisten. „Ich spreche die Leute gerne direkt an und frage nach, ob sie an einem persönlichen Austausch interessiert sind. Das sind die meisten. Man kann viel voneinander lernen, wenn man mit offenen Karten spielt – und beide Seiten profitieren davon.“ Er zieht dabei den Vergleich zum Trüffelschwein, das bei der Trüffelsuche vom gleichen Motiv geleitet wird wie er bei seinem Business: Leidenschaft.

Mehr Wohlstand durch weniger Kapitalismus

Andy zeichnet ein klares Bild von der Zukunft der digitalisierten Gesellschaft. „Die Automatisierung wird und muss uns helfen, besser zu arbeiten und zu leben. Unsere Lebensarbeitszeit können wir verkürzen. Wenn wir es schaffen, die Digitalisierung und Wertschöpfungsprinzipien positiv zu konnotieren, sind wir in der Lage, mehr Wohlstand für alle zu erzeugen. Mahnende Dystopien gibt es viele, unsere Aufgabe ist es doch, diese zu vermeiden.“ Seiner Auffassung nach können dadurch soziale und ethische Fragen sowie ehrenamtliches Engagement dafür in der Gesellschaft wieder mehr in den Vordergrund treten als rein kapitalistische Prinzipien. Ähnliches gilt für die Funktionsweise des Internets. Die Zukunft sieht er in blockchainbasierten, dezentralen Plattformen und Technologien. „Es ist eine Frage der Zeit, wann die datengetriebenen, siloartigen zentralen Plattformmodelle abgelöst werden. Aus meiner Sicht und aus Infrastruktursicht hat der Prozess der Umverteilung mit der Schaffung von dezentralen Datenspeichern, dezentralen Währungen und dezentralen Anwendungen (DAPPS) bereits begonnen.“

 

Weiterführende Links

Andy auf Twitter

Digital Pioneers


Digitalberater Friends of C.

Porträt Dr. Armand Farsi: Der couragierte Driver

Dr. Armand Farsi ist promovierter Sozialwissenschaftler, Digitalberater bei Friends of C. von Arvato-Bertelsmann und Host des Podcasts „Commerce Corner“. Persönlich treffe ich ihn zum ersten Mal auf dem diesjährigen E-Channels Day. Selten bin ich im beruflichen Umfeld einer solch empathischen und authentischen Person begegnet. Klar strukturiert in seinen Auffassungen gepaart mit einem humorvollen Charakter. Ideale Voraussetzungen für einen Digitalmacher.

Armand ist Deutsch-Iraner. Auf seinem Lebensweg stellt er fest, je weiter er perspektivisch kommt, umso weniger Migranten sind um ihn herum. Das geht los in seinem Studium, konkret bei seinem Schwerpunkt Internationale BWL in Tübingen, und setzt sich in den Stipendienprogrammen und bei seinem Berufseinstieg bei Boston Consulting Group fort. Seine persönliche Erfahrung: Ehrgeizige Studierende aus anderen Kulturkreisen zeigen oft überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft. Dennoch stoßen sie offenbar an unsichtbare Grenzen und finden nicht leicht den Weg zu herausragenden Positionen in Wirtschaft, Forschung, Politik oder Kultur. Das Thema treibt ihn um.

Habitus und Netzwerk

Starke Karrieren beruhen nicht allein auf Leistung, Netzwerk und Habitus sind ebenso wichtig. Das lernt Armand schnell bei BCG. Er beobachtet dort aufmerksam, wie Netzwerke funktionieren und wie wichtig Sozialkapital ist. Durch ein paar Zufälle, die richtigen Begegnungen und Kontakte fällt er im Jahr 2009 eine unkonventionelle Entscheidung. Statt die Karriereleiter bei BCG weiter hochzusteigen, wechselt er das Fach und promoviert in Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg.

In seiner Dissertation untersucht er, welche Voraussetzungen Migranten für eine Karriere in der Wirtschaft benötigen. Er kommt in seiner quantitativen Studie zu dem Ergebnis, dass diejenigen, die sich überwiegend in migrantischen Zirkeln bewegen, schlechtere Karriereperspektiven haben. „Es gilt den Effekt der sozialen Herkunft abzufedern. Migrantenkinder aus bildungsfernen Schichten müssen außerdem früh an identitätsstiftende kulturelle Inhalte herangeführt werden.“ Auch heute engagiert er sich noch in diesem Bereich und steht dem Hamburger Schotstek e. V. pro bono mit Rat zur Seite. Über Schotstek erhalten Migranten Zugang zu einem karrieredienlichen Netzwerk mit Ratgebern, Mentoren und Türöffnern aus der Hamburger Society.

Mut zu Entscheidungen

Nach der knapp dreijährigen Promotion kommt Armand 2012 über einen Headhunter zur E-Commerce-Schmiede für Fashion Brands Netrada. Bei diesem Karriereschritt ins Digital Business entscheidet er sich nicht zuallererst für das Unternehmen, sondern für seinen Chef: Dr. Tu-Lam Pham, damals dort als Director Performance Management positioniert. 2014 wird die Netrada von Arvato-Bertelsmann übernommen, Armand steigt in die Führungsebene auf. Im Juli 2018 wird sein Bereich zusammen mit anderen Digitalsparten in eine eigene Digitalagentur „Friends of C.“ ausgegründet. C steht für Commerce, Courage und Code. Er gehört zur Führungsmannschaft und propagiert vor allem eines: Mut zur Veränderung.

„Mit inspirierenden Leuten digitale Erfolgsmodelle bauen,
die im knallharten Wettbewerb nachhaltig bestehen - dafür schlägt mein Herz.“

Für ihn steckt im digitalen Umbruch etwas ganz Besonderes. Er nennt es Mutkultur. Um in disruptiven Zeiten wettbewerbsfähig zu bleiben, sollte man sich seiner Meinung nach Fragen über die fundamentalen Aspekte wie Mindset, Methoden und Organisationsstruktur stellen. Wie sehr stellt man den Kundennutzen in den Vordergrund? Wie mutig, technologisch befähigt und schnell bzw. schlank ist man aufgestellt für die Realisierung von Produktexperimenten? Wie viele Wetten und damit auch Fehler traut man sich zu?

Tiefgang in die digitale Szene

Mit diesen Fragen beschäftigt Armand sich nicht nur in der Rolle als Digitalberater und Führungskraft bei Friends of C. sondern auch, als er im August 2017 seinen eigenen Podcast ins Leben ruft.  Als Freund der schnellen Entscheidung probiert er mit einfachsten Mitteln aus, ein minimal überlebensfähiger Podcast auf die Beine zu stellen und zu testen, wie das Projekt im Markt ankommt. Inspiriert von „The Jason and Scot Show”, ein wöchentlicher Podcast über die E-Commerce-Branche aus den USA von Jason "Retailgeek" Goldberg und Channel Advisor Gründer Scot Wingo, lässt er kluge und einflussreiche Unternehmer zu Wort kommen. Im Fokus: Tiefe Tauchgänge zu Schlüsselthemen der digitalen Szene.

„Mit Commerce Corner habe ich im Kleinen das umgesetzt, was ich meinen Kunden ständig predige: Ein sogenanntes MVP – minimum viable product.“

Die positive Resonanz der Digitalbranche ermutigt ihn, das Projekt weiter voranzutreiben und mehr und mehr zu professionalisieren. Er sieht den Podcast als Lernplattform - für andere, aber auch für sich selbst. „Um spannende Geschichten zu kreieren und die Gedanken meiner Gesprächspartner spiegeln zu können, muss ich mich mit vielen neuen Themen und Branchen auseinandersetzen.“

Perspektive: Inspiration und Impact

Nachdem Armand bisher in seiner Karriere zum einen als Strategieberater Geschäftsmodelle konzipiert und zum anderen in seiner jetzigen Position als Digitalberater „hands-on“ konkrete Projekte auf die Straße gebracht hat, kann er sich vorstellen, sich perspektivisch noch mehr in den „Driver’s Seat“ zu begeben – in welcher Rolle er sich dann auch immer wiederfinden mag. Vermeiden will er politische Rangeleien, die aus seiner Sicht extrem energieraubend sind. „Taktieren ist nicht mein Ding, dafür ist mir meine Lebenszeit zu kostbar.“ Er will in Zukunft Digitales Business so gestalten, dass er damit auch einen relevanten Wirkungsgrad im Markt erreicht.


Digitalisierung Schweiz

Porträt Thomas Lang: Der Schweizer Digitalbotschafter

Thomas Lang ist Gründer und Berater. Er ist gefragter Publizist und Dozent rund um die Themen E-Commerce und digitale Transformation im Handel. Kaum ein anderer bringt ein solch langjähriges Branchen-Knowhow mit. Seine Schweizer Herkunft kann er mit seinem sympathischen Akzent nicht verleugnen. Auf der K5 treffe ich mich zu einem ausführlichen Gespräch mit dem digitalen Gesandten aus der Schweiz. Schnell wird mir klar, was sein Erfolg ausmacht: Seine Leidenschaft für digitale Themen und sein diplomatisches Geschick.

Thomas Langs Gründergeschichte hat schon in der zweiten Hälfte der 1980er Jahren seinen Ursprung. Damals schon an Computertechnologien interessiert, schreibt er erste Anwendungen in seiner Banklehre. Während seines Studiums der Betriebsökonomie in Zürich schaltet er die ersten Websites live, damals noch über Compuserve. „Mich hat das immense Potenzial fasziniert, wenn man jeden Rechner – und heute jedes Gerät oder jedes Atom – miteinander verbindet und sich auf eine quasi unsichtbare Struktur verlassen kann.“ Nach seiner Ausbildung lebt er mehrere Jahre in Kalifornien, startet seine Karriere in der Tourismusbranche. Ende der 90er ist er einer der ersten, der Reisen online verkauft – mit Erfolg. Nur die von ihm konzipierte Reisetour durchs Silicon Valley ist ein absoluter Flop. Der sogenannte „Silicon Valley Explorer“ bringt nicht eine einzige Buchung. Als designierter Vordenker ist er damit einfach 15 Jahre zu früh.

E-Commerce Experte der ersten Stunde

Zurück in der Schweiz gründet er im Jahr 2000 Carpathia. „Gegen den digitalen Tsunami kann man entweder Dämme oder Schiffe bauen, ich habe mich damals für das Schiff Carpathia entschieden und das war goldrichtig“, blickt er schmunzelnd zurück. Der Name der Agentur ist repräsentativ für die Firmenphilosophie und Thomas Einstellung zum digitalen Business. „Die Carpathia war das Schiff, das als erstes und als einziges überhaupt der Titanic zu Hilfe eilte, als diese in Seenot geriet und unterging.“ Er möchte ein Garant für nachhaltige Lösungen sein, der Warnsignale frühzeitig wahrnimmt, keine Extrameile scheut und ein verlässlicher Partner ist. Was damals als Beratungsagentur für E-Commerce beginnt, steht heute ganzheitlich für die digitale Transformation. Dafür haben er und sein Team vor allem das Verständnis für Mechanik und Ausprägungen digitaler Geschäftsmodelle an Deck.

„Wer jetzt nicht auf den Digital-Zug aufspringt, investiert in ein endliches Geschäft.“

Thomas ist ein leidenschaftlicher Verfechter der Digitalisierung, egal in welcher Branche, ob im Handel, in der Industrie, im Dienstleistungssektor oder in anderen Bereichen. „Was wir heute erleben, ist erst der Anfang. Es bieten sich für viele noch ungeahnte Potenziale wie auch Gefahren.“ Seine Mission ist, mitzugestalten, klare Akzente zu setzen und sein Knowhow zu teilen. Er sieht sich als Visionär und will überall dort Aufrütteln, wo er der Ansicht ist, dass die Lage noch unterschätzt wird. Damit macht er sich nicht immer nur Freunde, aber er hält überzeugt an seiner Mission fest. Er will heute und auch morgen die relevante Stimme im Schweizer Digital Commerce sein.

Zu Deutschland hat er ein ganz besonderes Verhältnis. Er ist sehr oft in Deutschland unterwegs. Früher mehr privat und heute eher beruflich. „Ich bin ein Mensch, der nicht gerne in Grenzen denkt und fühle mich im ganzen deutschsprachigen Raum zu Hause.“ Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Thomas auch hierzulande ein beliebter und gefragter Experte ist. Vor allem in der Frage, wie man einen deutschen Shop effizient „helvetisiert“, damit er auch bei den Eidgenossen im Nachbarland funktioniert. Aber auch in klassischen Beratungsfragen, bei denen sich viele deutsche Unternehmen einen internationalen Außenblick wünschen, wird er zu Rate gezogen.

Manager ist nicht gleich Unternehmer

In seiner Beraterlaufbahn ist ihm schon viel untergekommen. Für ihn lassen sich Unternehmen typologisieren, und zwar nicht bezüglich ihrer Herkunft, sondern hinsichtlich ihrer Denkweise. Bei Unternehmen, die von einem klassischen Management geführt werden oder gar zu einem Konzern gehören, liegt der Fokus nach seinem Geschmack viel zu kurzfristig. „Es ist teilweise erschreckend, wie wenig Manager unternehmerisch denken. Ich habe schon oft fragwürdige Entscheidungen fallen sehen, weil das Management einen unmittelbaren Bezug zum persönlichen Vorwärtskommen oder Incentivierung hat.“ Familiengeführte Unternehmen sind dagegen aus seiner Sicht viel aufgeschlossener, denken langfristig und rechnen ihre Investitionen ganz anders. Es geht um viel nachhaltigere Überlebensfragen und um die Sicherung einer soliden Basis für die nächste Generation.

„Jedes Unternehmen kann mithilfe einer adäquaten Digitalisierungsstrategie mehr aus seinem Geschäftsmodell herausholen.“

Er selbst zählt sich eher zu den unternehmerisch, strategisch langfristig denkenden Unternehmern. Seine persönlichen Ziele in seinem Job definiert er fokussiert für das Team von Carpathia: Er möchte die Agentur weiterhin auf Erfolgskurs halten und die Crew bedacht und ausgewählt vergrößern. „Wir wollen immer eine Boutique bleiben. Klein aber fein. Klasse statt Masse. Damit unterscheiden wir uns auch bewusst von klassischen Unternehmensberatungen.“ Seinen langersehnten Traum erfüllt er sich dieses Jahr zu seinem 50. Geburtstag. Mit der Queen Mary 2 schippert er von Hamburg nach New York. Zuvor feiert er aber mit der ganzen Schweizer Digitalbranche den siebten Digital Commerce Award in Zürich, den er selbst ins Leben gerufen hat. Eine gute Kombination für einen persönlichen Meilenstein, wie er findet.

 


JK Portrait

Porträt des Branchenanalysten Jochen Krisch:
Der Coach an der Seitenlinie

Jochen Krisch ist im deutschen E-Commerce einer der profiliertesten Experten, dabei aber durchaus streitbar. Für sein Porträt auf changelog treffe ich ihn zu einem sehr intensiven und offenen Gespräch bei herrlichem Frühlingswetter im Münchener Biergarten. Wir kennen uns über zehn Jahre und ich schätze seine Beständigkeit und Ruhe, die er ausstrahlt, sehr. Und doch merke ich, es herrscht bei ihm Aufbruchsstimmung. Eine persönliche Momentaufnahme des Branchenanalysten.

Am Anfang war es Teleshopping

Als Jochen nach dem Platzen der Dotcom-Blase in den Anfängen der 2000er seinen Blog Exciting Commerce initiiert, ist sein Karriereweg alles andere als geplant. Beim ersten deutschen Teleshopping Sender H.O.T. – damals ein Joint Venture von Quelle und ProSieben, heute HSE24 –  kann er Ende der 90er Jahre die Erfahrung sammeln, die er später in seinen messerscharfen Analysen seines E-Commerce-Blogs einsetzen wird: Analyse von Programminhalten, Formaten, Sendungen, ja auch die Performance von Moderatoren, darüber hinaus Prognosen und Forecasts. Damals schon konkret messbar, nach Abverkäufen – wie heute die KPIs im E-Commerce.

Jochen geht gerne unkonventionelle Wege. Was ihn treibt, ist die Neugier. Als in den USA Liveshopping-Konzepte wie Woot! („OneDayOneDeal“) aufkommen und das Web 2.0 die Welt erobert, wittert er seine Chance und hebt den Branchenblog Exciting Commerce aus der Taufe. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt er damit. Er kann aus seinem Know-how aus dem Teleshopping schöpfen und gleichzeitig den Blog als Lernmedium für eine junge Branche formen. Seine Intention dabei ist, andere am Lernen teilhaben lassen, zum Denken anregen, Inspiration bieten. Der Blog startet durch. Es folgen Aufträge als Publizist in Fachmedien, Vorträge, Moderationen. Der Pangora E-Commerce Kongress inspiriert ihn, in der immer virtueller werdenden Arbeitswelt einen Branchen- und Network-Event zu schaffen, der inhaltlich seinen hohen Ansprüchen genügt. Die K5 entsteht.

Opponent des stationären Handels

Ein legendäres Streitgespräch mit Prof. Gerrit Heinemann publiziert in der Brand Eins im Jahr 2015 macht ihn über Nacht zum personifizierten Widersacher des stationären Handels. Noch heute steht er für die kontroverse Meinung ein, dass der Handel nur dann eine Chance hat, wenn er sich Onlinekompetenz einkauft. Mit seiner persönlichen Onlinekompetenz wäre er prädestinierter Retter für den stationären Handel. Aber das entspricht nicht seiner Überzeugung. Er glaubt an eine Transformation der ganzen Branche, aber nicht an eine digitale Transformation des stationären Handels. Der Handel stelle sich die falschen Fragen, versuche die Online-Welt krampfhaft in den klassischen Strukturen zu verankern. Das ist aus seiner Sicht der falsche Weg. In den USA sieht er es allen Ortens: Fläche und Shopping Center funktionieren nicht mehr. Retailcalypse nennt er das. Seine Hypothese ist, dass About You in zehn Jahren erfolgreicher und profitabler sein wird als die Muttergesellschaft Otto.

Er weiß genau, dass er damit mehr als polarisiert und ist mit seiner Meinung exponierter als er es sich manchmal wünschen würde. Ihm ist bewusst, dass manche Leute ihm zum Vorwurf machen, durch kontroverse Thesen im Rampenlicht stehen zu wollen. Aber Selbstvermarktung hat er nie im Sinn, ihm geht es um die Sache. Er will neue Denkrichtungen anstoßen, Themen voranbringen, er möchte gestalten und an Fortschritt arbeiten. Dafür nimmt er in Kauf, in seiner Position ab und an auch einsam dazustehen.

Katalysator für Start-Ups

Jochen begleitet von Anfang an die Start-Up Szene der E-Commerce-Branche, beobachtet Unternehmen und Gründer, berichtet über sie, kennt viele persönlich, sein Netzwerk ist groß. Irgendwann erreicht er den Status, dass die Szene sich bei ihm Rat einholt. Er wird Sparrings-Partner und Advisor, beispielsweise kürzlich als Beirat beim Tech-Startup Frontastic oder teilweise auch als Gesellschafter wie beim Möbelshop Connox. Ihn prägt ein hohes Involvement zu den Unternehmen, bei denen er sich engagiert und trägt durch die eigene Kompetenz und Erfahrung seinen Teil zum Erfolg der Start-Ups bei. Das verschafft ihm selbst Unabhängigkeit und Freiheit, die er zu schätzen weiß. Er fühlt sich wohl in der Rolle als Coach am Spielfeldrand und es gefällt ihm, sich in Form von Branchen-Know-how und einem brillanten Netzwerk von Inkubatoren und  Accelerator-Programmen einzubringen.

Er selbst ist kein Gründertyp, auch kein Manager. Routine und Prozesse nerven ihn. Er braucht die Abwechslung. Alt Bewährtes stellt er immer in Frage und treibt damit alle anderen, nicht zuletzt das K5-Team, in den Wahnsinn. Er spürt die Rastlosigkeit, die ihn antreibt, zählt sich zu den Working Nomads. Länger als vier Wochen am selben Ort hält er nicht aus. Dann zieht es ihn weiter und er lässt sich an anderen Fleckchen der Erde inspirieren.

Seine Hypothese: Dem Online-Handel fehlt es an Kapital

Die Venture Capital Welt ist seine große Leidenschaft. Ihn interessiert alles, was mit Kapital und Vermögensmanagement zu tun hat. Sein Know-how aus dem E-Commerce will er in Zukunft damit verbinden. Er weiß genau, wo die Not groß ist, er weiß, wo Risiken liegen, aber auch die Chancen. Seine Sichtweise hilft ihm für eine glasklare Betrachtung: In den letzten Jahren hat eine Professionalisierung der Branche stattgefunden, Wachstum, Skaleneffekte haben sich eingestellt. Innovative Online-Verkaufskonzepte – eher Fehlanzeige. Auch sein erwarteter, echter Umbruch im E-Commerce ist bisher ausgeblieben. Nach der Euphorie der Online-Shopping-Clubs aus den Jahren 2005 bis 2010 sieht er nichts Weltbewegendes mehr. Er zieht seine Schlüsse: Die größte Bremse ist das fehlende Kapital. Die Zalandos und Amazons dieser Welt werden als so übermächtig wahrgenommen, dass Investoren sich bei allen andere E-Commerce-Projekten zurück halten. E-Commerce spielt im Venture Capital Bereich eine nachrangige Rolle. Für den Handel von morgen fehlt es kapitalseitig an Strukturen, die langfristig ausgerichtet sind. Er sieht Chancen für spezialisierte Fonds, die E-Commerce-Unternehmen in allen Phasen und Größenordnungen unterstützen.

Vom Publizist zum Kapitalmarktanalyst

Denn das Risiko für Kapitalgeber ist seiner Meinung nach nicht so hoch wie es scheint. Hier will er etwas in Bewegung bringen, zielt auf Familiy Offices, Private Equity Häuser, institutionelle Anleger. Sein 2015 mit Sven Rittau aufgelegter Global Online Retail Fonds erreicht nach bald drei Jahren mit jährlichen Wachstumsraten im zweistelligen Bereich nun eine Schwelle, die sich in der Investment-Szene sehen lassen kann und er glaubt daran, mit den richtigen Partnern noch weitere Investments auflegen zu können.

Dollarzeichen in den Augen wie Dagobert Duck? Jochen ist durchaus wettbewerbsorientiert, möchte Erfolg haben, aber mit sinnvollem Beweggrund. Es geht ihm nicht darum, Geld zu scheffeln, er will die Branche verändern. Immer auf der Suche nach Neuem, ein ständig Lernender ist er gleichzeitig ein begnadeter Strippenzieher. Nach dem publizistischen Hebel über Exciting Commerce und K5 versucht er es nun über den Hebel des Kapitalmarkts und zündet die nächste Stufe für seine neue persönliche Herausforderung. Die Chancen, die sich ihm bieten, nimmt er gerne an, da ist er opportunistisch genug. Planbar ist seine Karriere ohnehin nicht, dazu ist er viel zu sehr in Bewegung.