Zigarettenhersteller Philip Morris International möchte bis 2025 weltweit 40 Prozent seines Umsatzes mit risikoreduzierten Produkten erzielen. 40 Millionen Zigarettenraucher sollen von Alternativen überzeugt werden. Auf der OMR sprach ich mit CTO Michael Voegele. Auf seinem LinkedIn-Profil ist der Slogan „Designing a smoke-free future“ zu lesen. Ein heeres Ziel und ein Traumjob für einen digitalen Transformator, der Dinge bewegen will.

Michael Voegele, CTO PMI
Michael Voegele wechselte im Februar 2019 von Addidas zu Philipp Morris International

Michael Voegele arbeitete über acht Jahre bei der Sportmarke Adidas. Vor vier Monaten wechselte der Ingenieur zum Tabakriesen Philip Morris als CTO. Wie passt das zusammen? „Die Frage liegt jedem auf der Zunge“, schmunzelt er. „Das Unternehmen ist Marktführer im Bereich Zigaretten – und will in Zukunft keine Zigaretten mehr verkaufen, sondern Raucher von weniger schädlichen Alternativen überzeugen. Das ist echtes Change Management und diese Herausforderung hat mich gereizt.“

Weltweit fällt der Umsatz von Zigaretten um drei bis vier Prozent jährlich. In Deutschland hält sich der Umsatz bisher auf einem stabilen Level, obwohl die Zahl der Raucher deutlich zurückgeht. Das liegt an den steigenden Preisen und höheren Steuern für Zigaretten. Philip Morris setzt in der Transformation auf Produkte wie Iqos. Dabei handelt es sich um ein Gerät, das Tabak erhitzt und nicht verbrennt. Der Dampf, der dabei entsteht, soll weniger schädliche Stoffe enthalten als Zigarettenrauch, laut Unternehmen sogar 95 Prozent weniger als herkömmliche Zigaretten. Allerdings macht Iqos weiterhin süchtig, da nach wie vor Nikotin enthalten ist. Seit 2017 dreht sich bei Philipp Morris alles nur noch um den Iqos, das Marketingbudget für Marken wie Marlboro wurde auf Null gesetzt – obwohl der Umsatz des klassischen Zigarettengeschäfts recht stabil ist. Noch.

Wandel geprägt durch Vision

Den Grundstein für den Wandel legte CEO Andre Calantzopoulos 2016 mit seiner Vision. Er stellte sich vor die Mitarbeiter und sagte: „I hope one day we won’t sell cigarettes any more!“ Für die Mitarbeiter war das damals ein Schock, aber seither hat sich in den Köpfen viel getan. Für Voegele, der selbst erst seit kurzem an Bord ist, eine neue Erfahrung: „Man spürt den Kulturwandel standortunabhängig, das Unternehmen ist bereits mitten in der Transformation. Der Wille zur Veränderung ist da und man kann die Aufbruchsstimmung bei jedem einzelnen Mitarbeiter spüren. Denn jeder weiß: Es gibt keinen Plan B.“

Die zentrale Fragestellung bei der Transformation: Welche Alternative kann ein Tabakhersteller bieten, die das Gesundheitsrisiko von Rauchern minimiert? Michael Voegele ist angetreten, um das Unternehmen auf eine entsprechend neue technologische Plattform zu bringen, die die Vermarktung von risikominimierten Produkten wie den Iqos abbildet. Denn die Vermarktung eines elektronischen Produkts stellt ganz neue Anforderungen an interne Prozesse: Handling von Retouren, kaputte Geräte managen, Kundenservice – alles Prozesse, die das Unternehmen in den letzten zwei Jahren neu aufsetzen musste.

Holistischer Ansatz

Aber das ist nur der Anfang auf dem Weg zu einer rauchfreien Gesellschaft. Es geht um die Entwicklung neuer Produkte und Services. 400 Mediziner und Forscher arbeiten dafür im Headquarter in Lausanne. „Dabei stellt sich für uns die Kernfrage, welche gesundheitlichen und kommerziellen Benefits wir für unsere Community schaffen können. Daraus leiten wir dann Ideen für innovative Geschäftsmodelle ab.“ Voegele hält sich noch bedeckt, welche konkreten Maßnahmen in den nächsten zwölf Monaten geplant sind, verrät aber ein Beispiel: „In UK beispielsweise starten wir gerade ein Pilotprojekt. Wir haben eine spezielle Lebensversicherung für Raucher konzipiert, die zu unserem Produkt Iqos gewechselt sind.“

Voegele hat 20 Jahre Erfahrung in der IT-Industrie. Mit dieser Expertise will er nun den Technologie-Stack bei Philip Morris designen und entwickeln. „Die Transformation stellt ganz neue Anforderungen an die Supply Chain und Sales Prozesse. Nichts ist mehr so, wie es beim Vertrieb einer Zigarettenmarke einmal war. Jeden Tag fließen riesige Datenmengen an Feedback ins System und wir müssen daraus lernen, was der Kunde will.“ Dafür ist es extrem wichtig, als Unternehmen direkten Kontakt zu den Kunden zu haben – ein Umstand, der im „alten“ Philip Morris keine Rolle gespielt hat. Alte Vertriebswege wie z.B. Kooperationen mit Clubs funktionieren heute nicht mehr. In den nächsten Monaten steht bei Voegele Multichannel auf dem Plan: „Wir brauchen die digitalen Kanäle und deren Verknüpfung mit Retail Channels und den Iqos Flagship-Stores.“

Talente für den Wandel rekrutieren

Für seine Agenda muss Voegele digitale Expertise im Unternehmen aufbauen und digitale Talente rekrutieren. „Derzeit zeichnet sich der Trend ab, Standorte dort zu eröffnen, wo die Talent-Pools ausgebildet werden. In Osteuropa sind sehr gute Cyber Security Spezialisten zu finden, Spanien ist ein guter Markt für Entwickler und Programmierer, Griechenland hervorragend, wenn es um Data Scientists geht.“ Dennoch: Im „War for Talents“ kein leichtes Unterfangen für ein Unternehmen mit angekratztem Image. „Natürlich ist es einfacher für eine Sportmarke neue Leute zu gewinnen als für einen Tabakhersteller. Da ist Überzeugungsarbeit zu leisten“, so Voegele.

Im PMI Forschungs- und Entwicklungszentrum in Neuenburg bei Lausanne (CH) – eingeweiht im Jahr 2009 und auch bekannt als “the Cube“ – arbeiten über 400 Wissenschaftler und Entwickler.

Seine US-amerikanische Kollegin Marian Salzman, Kommunikationschefin bei Philip Morris, sieht er in einer Vorbildfunktion. Die PR-Pionierin kam als überzeugte Nichtraucherin zum Konzern, um an einer rauchfreien Zukunft mitzuarbeiten. Wer sich der Herausforderung einer radikalen digitalen Transformation stellen will, hat hier die Chance seines Lebens. Voegeles Wechsel von Adidas zu Philip Morris scheint der beste Beweis dafür zu sein.

 

Weiterführende Links

Studie über Digitale Transformation 2019

Recap OMR 2019

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