Andy Lenz ist Mitgründer der t3n, dem Magazin für digitale Zukunft, und hat eine enorme Erfolgsgeschichte als Herausgeber und Publizist hingelegt. Wir kennen uns seit den Anfängen der t3n und ich schätze ihn als zuverlässigen und inspirierenden Gesprächs- und Kooperationspartner. In einem sehr persönlichen Interview gibt er mir Einblicke in seine Denk- und Arbeitsweise, seine Ideale über die Zukunft, in der die Digitalisierung zu mehr Wohlstand und Gleichverteilung führen soll. Ein Porträt über einen digitalen Pionier.

Andy macht nach dem Abitur beruflich das, was er damals richtig gut kann: Events. Als Selbständiger organisiert er neben Partys auch Clubtouren und tingelt durch die Weltgeschichte. Kein Lebenskonzept auf Dauer, das merkt er schnell. Irgendwie macht er das Geschäft aber doch zehn Jahre lang. Er ist jung. Irgendwann kommt er an den Punkt, wo er einen Ausstieg sucht. Ausstieg durch ein Studium. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits 27 Jahre alt. Er braucht einen Plan, um das schnellstmöglich durchzuziehen. Mit seinem Freund Martin Brüggemann schafft er das Studium Informationsmanagement in gut der Hälfte der Regelstudienzeit mit einem unkonventionellen Konzept: Die beiden teilen sich die Vorlesungen auf, reichen sich Skripten weiter und schulen sich gegenseitig.

Anfänge des Pioniers

t3n Digitale Pioniere
Aktuelles t3n Cover, November 2018. Schwerpunktthema ist „Digitalisierung – was kommt danach?“

An der Fachhochschule Hannover treffen die beiden auf den Journalisten Jan Christe, damals als Hilfswissenschaftler am Lehrstuhl tätig. Er unterstützt sie bei der Idee, ihre Diplomarbeit als Print-Magazin zu veröffentlichten und bringt seine journalistische Kompetenz mit ein. Dann kommt eines zum anderen und lässt sich als Dominoeffekt beschreiben. Die Themen OpenSource und TYPO3, über die sie als First Mover im deutschsprachigen Raum den Content veröffentlichen. Andys Onkel, der im Druckgewerbe arbeitet und ihnen die Möglichkeit verschafft, eine Auflage von 5000 Exemplaren zum Selbstkostenpreis zu drucken. Eine Content-Marketing-Strategie sowie 1000 kostenfreie Magazine als Growth-Hack-Start. Sparringspartner golem.de und heise.de, die mit ihrer enormen Reichweite den Magazinverkauf maßgeblich treiben, sorgen dafür, dass die Ausgabe nach wenigen Tagen vergriffen ist. Und das altbewährte Verlagskonzept, über den Heftversand Daten von Lesern abzugreifen. So baut man Communities auf.

Darauf folgt die Erkenntnis: „Ok, wir sind jetzt ein Start-Up! Wir hatten kein Büro, unsere Idee ist auf unseren WG-Sofas entstanden“, erinnert sich Andy. Und dann haben die drei die Ausschreibung von HannoverImpuls und der Sparkasse an der Uni hängen sehen: Ein Businessplanwettbewerb mit einem Preisgeld von 18.000 EUR für den Sieger. „Da war uns klar, das müssen wir durchziehen.“ Es folgt die Gründung einer GbR, der Businessplanentwurf auf Basis der Diplomarbeit, die Wettbewerbseinreichung. Und am Ende gehen die drei im Jahr 2005 mit einer Grundausstattung an Startkapital als Sieger aus dem Wettbewerb hervor.

Kritische Größe bei Start-Ups

Den daraus resultierenden Erfolg, kann Andy heute rückblickend nur mit dem konsequentem Handeln, Qualitätsbewusstsein und dem Willen zum Erfolg erklären. Er schafft es mit seinen Mitgründern, ein kontinuierliches, lineares Wachstum einer Print- und Onlinepublikation hinzulegen. Im Gegensatz zum allgemeinen Trend der Verlagsbranche, die mit rückläufigen Zahlen zu kämpfen hat. „Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, in einer Krise zu stecken und das meine ich nicht überheblich. Wir gehen in Planungen nicht von „best cases“ aus und arbeiten immer mit großem Puffer.“ Andy ist dankbar, dass die Geschäftsidee und das Businessmodell seit über 10 Jahren jährlich beständig ca. 20 Prozent wachsen. Es hätte auch anders laufen können.

„Organisationsentwicklung ist ein Strategiespiel wie Risiko oder Monkey Island.“

Die größte Herausforderung sieht er, als sein Unternehmen die kritische Größe von 30 Mitarbeitern überschreitet. Er bezeichnet das als Meilenstein, weil sich ab diesem Zeitpunkt alles verändert. Nicht nur für ihn, Martin und Jan. Auch für alle anderen Mitarbeiter. „Bei unter 30 Leuten ist man als Gründer noch mittendrin – bekommt alles Operative mit. Danach wird es schwierig. Das fängt mit Kleinigkeiten an, wie z. B. dass alle nicht mehr gemeinsam zum Mittagessen gehen. Dass man plötzlich nicht mehr auf einer Etage arbeitet. Dass nicht mehr alle in einen Meetingraum passen. Der Kommunikationsaufwand wächst exponentiell und man merkt schnell, dass Flurfunk allein nicht funktioniert und wie wichtig Management-, Kommunikations- und Leadershipskills plötzlich werden.“

Holokratie: Effektiv ohne Chef

An diesem Punkt stellt sich natürlich für Andy die Frage, wie man sich als unternehmerische Organisation strukturiert. Obwohl klassisch begonnen, kommt ein hierarchisches Pyramiden-Organigramm für ihn nicht infrage. „Wir wachsen schnell, wir propagieren überall agiles Arbeiten – da können wir unsere Organisation nicht old school strukturieren. Außerdem entspricht das nicht meiner Überzeugung.“ Also stellen die inzwischen vier Geschäftsführer die Firma in Clustern nach Themen auf, die wiederum in Teams unterteilt sind. Die Struktur ist flexibel und ändert sich, wenn sich die Anforderungen verändern. Die Menge an Entscheidungen und Ideen, die im Team gecrowdsourced werden, wächst. Vorbild ist u.a. das von Spotify kultivierte Squad-Framework. „Ziel ist es, den Grad an Eigenverantwortung und Transparenz in den Clustern, bei uns Units genannt, und den darin liegenden Teams Jahr für Jahr zu erhöhen. Ein spannender Prozess, bei dem hier und da noch Rahmenbedingungen fehlen. Es gibt viel gemeinsam zu lernen!“

„Skills lassen sich lernen und vermitteln, Charakter nicht.“

Er glaubt fest daran, dass self-managed Teams mit Eigenverantwortung funktionieren, wenn man Stück für Stück die richtigen Voraussetzungen dafür schafft. Dazu gehört in erster Linie, dass jeder Einzelne lernt, unternehmerisch zu denken. Weiter muss die Vision, Kultur und Identität der Firma glasklar und gemeinsam definiert sein. Hierzu wird im Team, über 18 Monate hinweg ein sogenanntes BrandBook entwickelt, dass jedem Mittarbeiter und Partner ausgehändigt wird. Andy interessiert sich für Holokratie als Führungsstil – im Prinzip das Führen ohne Chef. Er hält dies in Reinform zwar für unrealistisch und sagt, dass das schwer umzusetzen ist. Die  Gefahr droht, im Chaos zu enden. Dennoch gewinnt er auch diesem Managementprinzip etwas ab. „Wir stecken immer noch im Prozess – sowas hört nie auf. Spielerisch und iterativ addieren wir, was hilft, Sinn macht und uns zugutekommt: Das Team, aktuell bestehend aus 70 Mitarbeiter*innen, ist jung. Das Durchschnittsalter beträgt 28 Jahre, viele sind digitale Nomaden. Digitale Pioniere wollen das nicht anders und suchen immer nach neuen Wegen.“

Motivation und Inspiration

Für ihn persönlich ist seine Arbeit und die Organisationsentwicklung wie ein Strategiespiel. „Früher habe ich stundenlang mit meinen Freunden Risiko oder Monkey Island gespielt – die Parallelen zu heute sind erstaunlich. Daher auch die Idee mit den Digital Pioneers: Da assoziiere ich Enterdeckertum und Abenteuerlust.“ Er sucht das Abenteuer und wägt dabei gleichzeitig das Risiko ab. „Trial and error“, und das mit seinen besten Freunden im Job – sein persönliches Umfeld motiviert ihn enorm. Seinen eigenen Charakter beschreibt er als kreativ, frech und humorvoll. Das spiegelt sich auch in der DNA der t3n wieder. Er legt großen Wert darauf, dass das Team zusammen passt. „Beim Recruiting legen wir mehr Wert auf einen guten und zu uns passenden Charakter mit guten Vorraussetzungen, als rein auf die tatsächlichen Qualifikationen zu blicken. Skills lassen sich lernen und vermitteln, Charakter nicht.“

„Es ist eine Frage der Zeit, wann die datengetriebenen, siloartigen, zentralen Plattformmodelle abgelöst werden.“

Gleichzeitig sucht Andy die Inspiration durch den Austausch mit jungen, agilen Unternehmen. Er verschafft sich Zugang zu den Protagonisten. „Ich spreche die Leute gerne direkt an und frage nach, ob sie an einem persönlichen Austausch interessiert sind. Das sind die meisten. Man kann viel voneinander lernen, wenn man mit offenen Karten spielt – und beide Seiten profitieren davon.“ Er zieht dabei den Vergleich zum Trüffelschwein, das bei der Trüffelsuche vom gleichen Motiv geleitet wird wie er bei seinem Business: Leidenschaft.

Mehr Wohlstand durch weniger Kapitalismus

Andy zeichnet ein klares Bild von der Zukunft der digitalisierten Gesellschaft. „Die Automatisierung wird und muss uns helfen, besser zu arbeiten und zu leben. Unsere Lebensarbeitszeit können wir verkürzen. Wenn wir es schaffen, die Digitalisierung und Wertschöpfungsprinzipien positiv zu konnotieren, sind wir in der Lage, mehr Wohlstand für alle zu erzeugen. Mahnende Dystopien gibt es viele, unsere Aufgabe ist es doch, diese zu vermeiden.“ Seiner Auffassung nach können dadurch soziale und ethische Fragen sowie ehrenamtliches Engagement dafür in der Gesellschaft wieder mehr in den Vordergrund treten als rein kapitalistische Prinzipien. Ähnliches gilt für die Funktionsweise des Internets. Die Zukunft sieht er in blockchainbasierten, dezentralen Plattformen und Technologien. „Es ist eine Frage der Zeit, wann die datengetriebenen, siloartigen zentralen Plattformmodelle abgelöst werden. Aus meiner Sicht und aus Infrastruktursicht hat der Prozess der Umverteilung mit der Schaffung von dezentralen Datenspeichern, dezentralen Währungen und dezentralen Anwendungen (DAPPS) bereits begonnen.“

 

Weiterführende Links

Andy auf Twitter

Digital Pioneers