Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung PwC beschäftigt sich mit Strukturen, Trends und Herausforderungen der deutschen Möbelbranche. Demnach wird dem Online-Segment großes Wachstumspotenzial zugesprochen. Hersteller und Händler arbeiten fieberhaft an Digitalstrategien. Doch der Teufel steckt im Detail. Die Frage nach dem digitalen Geschäftsmodell ist mit vielen Grundsatzfragen, hohen Investitionen und unternehmerischem Wagnis verbunden. Wir haben die Erkenntnisse der Studie aufgegriffen und mit Beispielen aus der Praxis verglichen.

Die Möbelbranche stagniert. Die PwC-Studie prognostiziert zwar für die kommenden Jahre ein leichtes, stabiles Umsatzwachstum von 1,3 Prozent. Dies ist jedoch ein kleiner Kuchen, der auf viele Player verteilt werden muss. Der Wettbewerbsdruck ist hoch und preisgetrieben, daher rechnet es sich für viele Händler nicht mehr, große Verkaufsflächen und personalintensive Verkaufsberatung bereitzustellen. Immer wieder müssen Marktteilnehmer Insolvenz anmelden, so im letzten Jahr Händler wie Habitat oder große Herstellermarken wie Wellemöbel, Alno oder Flötotto.

Dr. Christian Wulff Möbelbranche
Studienautor Dr. Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter, PwC Deutschland

Allheilmittel Online für die Möbelbranche?

Im Gegensatz zum stationären Handel spricht die PwC-Studie dem Online-Segment ein großes Wachstumspotenzial zu. Bis zum Jahr 2023 soll der Onlineumsatz im Möbelhandel um jährlich 8,4 Prozent wachsen. „Derzeit konzentriert sich die Möbelbranche noch stark auf den stationären Handel, doch in diesem Bereich ist nur noch ein leichtes Umsatzwachstum möglich. Ein großes Wachstumspotenzial bietet dagegen der Vertriebsweg über Onlinekanäle, den viele Unternehmen derzeit noch unterschätzen“, so Dr. Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei PwC Deutschland.

Dass der digitale Handel mit Möbeln sich aber nicht einfach umsetzen lässt, es hohe Investitionen und einen langen Atem bedarf, zeigt die aktuelle Situation der anfänglichen Hoffnungsträger für digitale Geschäftsmodelle im Möbelmarkt, Westwing und Home24.

Home24 schreibt rote Zahlen. Investitionen in Software und ein neues Warenlager in Halle haben den Online-Möbelversender im ersten Halbjahr belastet. Der operative Verlust stieg daher im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 9,5 Millionen Euro auf 23,4 Millionen Euro. Dennoch will Home24 bis zum Jahresende weiter operativ auf bereinigter Basis die Gewinnschwelle erreichen. 2020 will das Unternehmen dann profitabel sein, berichtet das manager-magazin.

Auch Online-Pure-Player Westwing kämpft seit dem Börsengang im Herbst 2018 erheblich. Begeisterte der Gründer und Vorstandschef Stefan Smalla auf der K5 im Mai in Berlin noch das Fachpublikum mit seinen Plänen, musste die Gewinnerwartung für das laufende Geschäftsjahr ständig nach unten korrigiert werden. Smalla führt dies auf gesteigerte Investitionen ins Marketing zurück. Aber auch er zeigt sich gegenüber dem Handelsblatt optimistisch und geht unbeirrt davon aus, dass sich die höheren Investitionen mittel- und langfristig positiv auswirken werden.

Was sind die Erfolgsfaktoren?

Die PwC-Studie identifiziert Meilensteine, die die Händler bei ihrer Online-Strategie berücksichtigen müssen. Dazu zählen aufwändige Zustell- und Rücksendeprozesse auf der einen Seite. Die letzte Meile ist bekanntlich das größte Hindernis im Online-Handel.

Auch wollen die Möbelkunden gern Produkte vor dem Kauf sehen und ausprobieren. Dazu gehören einfachere Umtauschprozesse und Investitionen in neue Technologien, wie Virtual Reality und Augmented Reality, mit denen die Kunden sich auch zu Hause ein Bild von den gewünschten Produkten machen können, so die Studie.

Malte Dous Möbelbranche
Dr. Malte Dous, Director EU Category Management bei Wayfair kennt sich aus mit Plattformgeschäft. Zuvor war er Marktplatzchef bei Zalando.

Technologien als Wegbereiter

Innovative Technologie scheint also der Weisheit letzter Schluss auf dem Weg zur Digitalstrategie. Wayfair, ein großer US-Marktplatz für die Kategorie Home und Living mischt seit 2016 den deutschen Markt auf. Dr. Malte Dous, Director EU Category Management bei Wayfair sieht die Plattform weniger als Branchenmarktplatz denn als Partner und „Enabler“ des Handels. „Wir sind ein Tech-Unternehmen mit weltweit rund 2.300 Ingenieuren und Datenwissenschaftlern. Wir haben die gesamte Customer Journey mit Software und Algorithmen abgebildet, davon können auch unsere Partner profitieren“, erklärt der Ex-Zalando-Marktplatzchef. Die Plattform funktioniere rein datenbasiert – könne also jederzeit KPIs identifizieren und am Markt entsprechend agieren.

Beispiel: „Schnelle Lieferzeiten sind bei Möbeln ein absoluter Umsatzbooster“, so Malte Dous. Entsprechend hat Wayfair seine Services in punkto Lager aufgestockt. Neben der direkten Warenabfertigung im eigenen Lager bietet der Marktplatz mit Castlegate auch einen Fulfilment-Dienst an, der in Kassel zentral Waren für Händler einlagert und damit Produkte schnell abrufbar sind.

Ähnliche Services werden Handelspartnern auch in Bereichen Content (Lifestyle Bilder mit 3D Rendering), Marketing (eigener Verkaufstag WayDay analog zum Black Friday), Logistik (eigenes Liefernetzwerk) und Verpackung (Umverpackungsservice) geboten.

Omnichannel – Erfolgsbeispiel aus Österreich

Die PwC-Studienautoren sprechen Omnichannel-Konzepten, d.h. stationären Ausstellungsflächen, die sinnvoll mit technologischen Neuerungen verknüpft sind, ein hohes Erfolgspotenzial zu. Ein Blick in unser Nachbarland Österreich zeigt das in einem eindrucksvollen Beispiel.

Österreich hat ähnlich wie Deutschland eine hohe Konzentration an Möbelhäusern. Der Markt wird dominiert von Ikea, Kika, Leiner und XXXLutz. Nur wenige Händler können in dem Wettbewerb noch mithalten. Einer davon ist das Planungs- und Einrichtungshaus Wetscher im beschaulichen Zillertal, das weit über die Grenzen Tirols einen Namen hat. „Hätten wir nicht den Mut, uns immer wieder neu zu erfinden, wir wären schon längst ausradiert auf der Landkarte der Möbelhäuser“, ist Unternehmer Martin Wetscher überzeugt.

Der Wohndesigner führt den heutigen Erfolg auf die unternehmerische Entscheidung in den 90er-Jahren zurück, sich auf die Tischlerei, Planung und nur noch die absoluten Top-Marken im Programm zu konzentrieren. Einen ähnlichen Transformationsschritt hat das Familienunternehmen nun wieder gewagt. „Ein Möbelhaus muss heutzutage mehr bieten als eine beheizte Verkaufsfläche“, so Martin Wetscher auf dem imm-Congress in Köln.

Designhalle für alle, digital und im Showroom: Junior- und Seniorchef Max und Martin Wetscher.

Sohn Maximilian, Unternehmer in fünfter Generation, startete im Juni 2018 einen neuen Concept Store mit seiner eigenen Brand „Wetscher Max“. In der „Designhalle für alle“ eröffnet sich dem Kunden eine Ausstellung mit drei Themenbereichen Natur, Modern und Loft. Im Online-Store unterstützt ein digitaler Einrichtungsberater seine Klientel.

Nach einem Jahr zieht der Unternehmersohn Bilanz. „Mit unserem Konzept haben wir das Beste aus beiden Welten verbunden. Denn das digitale und das reale Einkaufen sind heute längst zu einem Erlebnis verschmolzen. Und diese neue Welt wollten wir in einem neuartigen Handelskonzept konsequent abbilden und mit Leichtigkeit an unsere Kunden vermitteln“, erklärt Maximilian Wetscher gegenüber der Branchenfachzeitschrift möbelkultur.

Am Standort in Fügen konnte das traditionelle Familienunternehmen zuletzt eine Umsatzsteigerung von rund 30 Prozent verzeichnen. „Mit Wetscher Max haben wir junge Zielgruppen völlig neu für unsere Qualitätsmarke begeistert, aber auch traditionelle Kunden der Wetscher Wohngalerien für andere Perspektiven gewonnen. Von dieser Durchmischung profitieren alle.“ Jetzt wagt das Möbelhaus den Schritt in die Stadt und hat einen Concept Store auch in Innsbruck eröffnet.

Wo liegt die Zukunft der Möbelbranche?

Klar ist: Es gibt keine digitale Blaupause für die Möbelbranche. Es zeigt sich vielmehr, dass jedes Unternehmen seinen individuellen Ansatz fahren muss. Dies ist ein Prozess und die Schwierigkeit liegt vor allem darin, dass man dafür oft gelernte Strukturen und etablierte Prozesse innerhalb des Unternehmens infrage stellen muss. Digitaler Handel bedeutet nicht, seine Produkte online in einem Webshop in einer anderen Art eines Produktkatalogs feilzubieten. Es bedeutet, dass man mithilfe von digitalen Produkten und Services Mehrwerte für seine Kunden schafft.

Die PwC Studie gibt eine umfassende Analyse und zeigt Perspektiven auf, wo diese Mehrwerte liegen können. Der Lebensstil vieler Menschen in Deutschland verändert sich, beispielsweise steigt die Zahl der Ein-Personen-Haushalte, auch die Arbeit im Home Office setzt sich immer stärker durch. Das hat Einfluss auf den Möbelmarkt. Gebraucht werden stärker multifunktionale und flexible Möbel.

Auch der gesellschaftliche Trend zu einem nachhaltigen Leben hat Auswirkungen auf den Möbelmarkt. Insbesondere hochwertige Möbel, Handwerksprodukte und Systemmöbel werden in Deutschland verkauft. Das Umweltbewusstsein der Konsumenten ist gestiegen. Dafür sind sie auch bereit, mehr Geld auszugeben. Wie eine Befragung zeigt, spielt der Aspekt Nachhaltigkeit für 73 Prozent der Kunden beim Kauf von Möbeln eine wichtige Rolle. Dies könnte sich ebenfalls zu einem Erfolgsfaktor für die Kernkompetenz im Möbelhandel erweisen.

Quellen: Handelsblatt, manager-magazin, möbelkultur, falstaff.de

Weiterführende Links

Marktstudie Möbelbranche 2019 von PwC

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