Ryan Mullins ist Serial Entrepreneur, digitaler Vordenker und Visionär. Die letzten zwei Jahre hat der US-Amerikaner als Director of Future Trends bei Adidas digitale Zukunftstrends beobachtet und die Sportmarke hinsichtlich ihrer digitalen Strategie beraten. Alles, was Ryan tut, dreht sich um das, was er das Prometheus-Prinzip nennt: Werkzeuge und Technologien demokratisieren, um zu sehen, was Menschen erschaffen. Jetzt gründet er in den USA ein neues Unternehmen, das digitale Streetwear-Startup Aglet. Auf dem Ispo Digitize Summit sprach ich mit Ryan über das Verschwinden des Digitalen und die Rolle von Technologien. Und er verrät seine Learnings, die er Marken und Händlern mit auf dem Weg gibt.

Ryan, wie siehst du die Zukunft des Handels? Welche Rolle werden Brands spielen, welche Händler?

Ich sehe den Handel im Kontext einer wesentlichen Entwicklung: Das Verschwinden des Digitalen. Der stationäre Handel hat einen Fehler gemacht, als er iPads, Screens, magische Spiegel etc. in die Läden gestellt hat in der Hoffnung, der Kunde würde das wollen. Tatsächlich schaffen diese Geräte aber Hindernisse für das Markenerlebnis und die Kommunikation zwischen Kunde und Verkäufer. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Zukunft immer weniger kommerzielle Transaktionen im Laden durchführen, das klassische Kaufen wird mehrheitlich online erfolgen. Dafür wird der stationäre Laden für den direkten Kontakt mit der Marke immer wichtiger. Hier findet das Testen von Produkten statt. Es wird mehr Direct-to-Consumer Handel geben und vor allem mehr Consumer-to-Consumer Handel.

 

„Was ich mit Verschwinden des Digitalen meine: Das Digitale wird für uns so selbstverständlich und omnipräsent werden wie es für uns heute die Elektrizität ist.“

 

Was genau meinst du mit Consumer-to-Consumer?

Consumer-to-Consumer ist die Weiterentwicklung von eBay oder StockX, also Plattformen, wo Konsumenten an Konsumenten verkaufen. Wenn Produkte wie beispielsweise Sneaker mit den entsprechenden Chips ausgestattet sind, wird derjenige, der die Schuhe trägt, zum Verkäufer, einfach indem die Schuhe gescannt werden. Technologie wird jedem ermöglichen, zum Verkäufer zu werden. Nicht alle kommerziellen Transaktionen werden so ablaufen, aber wir werden hier eine signifikante Steigerung sehen.

Welche Rolle werden dann die Marken haben?

Marken stehen nicht für Produkte, sondern sie bieten den Kunden einen Raum an, wo Kunden Erfahrungen machen können, wo sie ihren Visionen nachgehen können, wo sie ihr Leben ändern können. Sport ist schon immer mit Orten assoziiert, wie z.B. Fußballplätzen, Fitnessstudios etc. In Zukunft wird es für Marken darauf ankommen, diese Orte mit der Marke zu verknüpfen oder selbst zu so einem Ort zu werden. Apple ist dafür ein gutes Beispiel: Wenn man in einen Apple Store geht, kann man dort natürlich auch Dinge kaufen, aber vor allem geht es darum, dort Produkte zu testen. Der Laden funktioniert wie ein Ort, an dem Kunden neue Erfahrungen machen.

Du sprichst über das “Verschwinden des Digitalen”. Was genau wird verschwinden?

Wie oft haben Sie heute schon über die Technologie nachgedacht, die es Ihnen erlaubt, bestimmte Dinge zu tun? Wahrscheinlich so gut wie gar nicht. Das ist eine evolutionäre Entwicklung: Dinge sind nur dann im Fokus der Aufmerksamkeit, solange sie neu sind. Das gilt für die neue Uhr, die neuen Sneaker genauso wie für Technologie. Jede große Technologie wird verschwinden, nicht in dem Sinne, dass es sie nicht mehr gibt, sondern sie wird einfach zu einem Teil unseres Lebens, ohne viel Aufmerksamkeit zu absorbieren. Das Digitale wird für uns so selbstverständlich und omnipräsent werden wie es für uns heute die Elektrizität ist.

 

„Es wird in Zukunft mehr Direct-to-Consumer Handel geben und vor allem mehr Consumer-to-Consumer Handel.“

 

Welche Konsequenz hat diese Entwicklung für Marken und Händler?

Die Frage, die sich daraus ergibt, wird sein, wie man als Marke für diese Konsumenten Erlebnisse entwickeln kann? Die Antwort darauf kann nicht lauten, dass wir die Technologie in den Vordergrund stellen und auf VR-Brillen, noch mehr Screens, Magic Mirrors etc. bauen. Man braucht kein Hologramm im Store oder tanzende Außerirdische, um den Konsumenten zu bedienen. Wir müssen nach Anwendungen suchen, die für ihn Sinn machen. Das muss meiner Meinung nach überhaupt nichts super ausgefallenes sein. Die aktuellen Top-Brands für Kids, wie z.B. Supreme oder Balenciaga, sind nicht wegen ihrer Technik angesagt, ihre Attraktivität hat nichts mit Technologie zu tun. Die Magie entsteht allein im Auge des Konsumenten.

Wie kann man diese Magie herstellen- ohne technischen Schnickschnack?

Beispielsweise durch Strategien der Verknappung. Mit den digitalen Plattformen wurde alles überall und jederzeit verfügbar. Deshalb haben erfolgreiche Brands damit begonnen, ihre Produkte zu limitieren. Was ist ein Selfie? Das Festhalten eines ganz bestimmten, nicht wiederholbaren Moments. Diese Momente zu haben und mit anderen zu teilen verleiht heute Status. Genauso ist das mit Produkten. Sneaker sind ein Paradebeispiel für dieses Prinzip. Der Resell-Markt für Sneaker ist dreimal größer als der eigentliche Sneaker Markt! Es gibt Leute, die verkaufen ihre Sneaker schon weiter, bevor sie sie überhaupt bekommen haben. Die Marke spielt hier gar keine Rolle mehr, der Prozess verläuft allein zwischen Konsumenten.

Welche Bedeutung wird in diesem Zusammenhang Customizing  zukommen?

Customizing ist ein großartiges Tool um Läden zu einem besonderen Ort für die Konsumenten zu machen. Die Magie des Ladens entwickelt sich allein daraus, was der Kunde dort machen kann! Die eigene Kreativität und Vorstellungskraft wird zu einem Teil des Geschäfts. Und natürlich ist auch Customization mit dem Konzept der Limitierung verbunden. Viele Konsumenten nutzen diese Möglichkeit schon, aber es wird Zeit, dass diese Idee mithilfe von Machine Learning eine höhere Stufe erreicht. Zwei Probleme sind heute mit Customization verbunden: Selbst designen kostet Mühe und Zeit, und die wollen viele Leute nicht investieren. Ganz nach dem Bestseller „Don’t make me think“: Sobald der Konsument denken muss, geht er. Das zweite Problem: Viele Leute glauben nicht daran, dass sie selbst ein guter Designer sein können. Sobald wir aber soweit sind, über Algorithmen genau die Produkte entwickeln zu können, die dem Konsumenten gefallen, wird Customization zu einer komplett neuen Erfahrung.

 

„Innovationen entstehen durch ungewöhnliche Kombinationen.“

 

Welche Rolle wird Geschwindigkeit spielen?

Die Geschwindigkeit, in der künftig Produkte auf den Markt gebracht werden können, spielt eine wesentliche Rolle – es ist kein Zufall, dass gerade die Fast Fashion in den letzten Jahren so stark gewachsen ist. Wir müssen schneller werden! Die ersten Produktbilder erreichen heute schon so früh die Konsumenten, dass sie schon gelangweilt sind, wenn das Produkt erhältlich ist. Die Supply Chain hierfür zu optimieren ist ein Teil des Puzzles. Auch neue Technologien werden hier eine zunehmend wichtige Rolle einnehmen. Nehmen wir Blockchains oder Kryptowährungen – viele Menschen denken, das sei nur ein Trend. Aber das ist ein Fehler. Blockchains werden Teil der Supply Chain werden, weil sie Transparenz ermöglichen und Nachhaltigkeit nachvollziehbar machen. Noch sind wir nicht soweit, aber viele Leute arbeiten daran.

Wie weit verändert die Digitalisierung den Sport? Wo siehst du weitere Erlösquellen?

Ich möchte es ein wenig umschreiben: Mich hat mal jemand gefragt, wie können die Marken heute wieder dahin zurückkehren, echte Sport Brands zu sein? Zu viele Menschen trügen Sportprodukte ohne wirklich Sport zu treiben, und das schade dem Image. Meiner Meinung nach ist das aber die falsche Frage. Wenn man zurück will, ist das der falsche Weg. Die richtige Frage lautet: Wie bringt man den Sport voran? Neue Möglichkeiten für Erlösquellen ergeben sich zum Beispiel durch den e-Sports Boom, auch wenn die heutige Diskussion vorherrscht, dass Video Games schlecht sind und kein Sport. Aber daraus lassen sich neue Umsätze entwickeln. Das Spiel Fortnite hat 2018 drei Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht, ein großer Teil davon durch virtuelle Produkte. Innovationen entstehen auch durch ungewöhnliche Kombinationen, beispielsweise die neue Pharell Williams Kollaboration mit Adidas Originals, wo Tennis und Basketball zusammen kommen. Jede Art von Sport wird heute ‚vermodet‘, bis hin zu den Sportlern selbst, bei denen nicht nur die Leistung interessiert, sondern oft noch mehr, was sie auf dem Weg ins Stadium anhaben. Auch wenn manches lächerlich erscheinen mag, man muss das System Sport als Ökosystem verstehen lernen und daraus Produkte entwickeln.

 

„Blockchains werden Teil der Supply Chain werden, weil sie Transparenz ermöglichen und Nachhaltigkeit nachvollziehbar machen.“

 

Die Digitalisierung ist eine große Herausforderung für den Handel. Welche Tipps würdest du Händlern geben?

Ich würde folgenden Rat geben: Findet Wege, wie ihr eure Kunden stärken und befähigen könnt. Versucht sie besser zu verstehen, und ihr werdet feststellen: Was eure Kunden brauchen ist nicht das, was ihr erwartet hättet. Bleibt innovativ und wagt kontinuierlich Neues, um gegen das Überangebot zu bestehen – die Kunden sind super schnell gelangweilt. Hebt euch ab von eurer Konkurrenz und seid kreativ. Man muss, wie ich anfangs schon gesagt habe, eine gewisse Spannung erzeugen.

Du verlässt adidas und gründest gerade ein Start-up in den USA. Verrätst du uns, worum es dabei geht?

Mein neues Start-up heißt ‚Aglet‘, wie das Ende der Schnürsenkel bei einem Sneaker. Es ist eine digitale Sneaker Plattform, auf der man Sneaker designen, kaufen und verkaufen kann. Das Interesse an Sneaker Design ist riesig – man kann Sneaker Designer auf Instagram folgen, und immer mehr  Menschen wollen selbst designen. Bisher gab es aber keine Möglichkeit, selbst zum Designer zu werden und eigene Sneaker, Hoodies etc. zu entwerfen. Auf Aglet können User selbst kreativ werden, über Designs abstimmen und digitale Sneaker kaufen, beispielsweise für Games. Auch dort zählt Status. Aglet ist also ein Tool um Schuhe zu designen und ein Kanal zum Kaufen und Verkaufen. Aglet heißt auch die Währung. Es ist auf Blockchains aufgebaut. Es bietet außerdem die Möglichkeit, mit Brands zu interagieren. Brands könnten ihre Komponenten digitalisieren und zum Kauf anbieten, aus denen die Kids ganz eigene Designs erstellen. Ich bin sicher, dabei kämen völlig neue Produkte heraus und neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Kunde und Brand. Ich denke, so wird in Zukunft Design stattfinden: man designt digital, misst digital den Erfolg und produziert erst dann.

Soll es auch echte Produkte geben?

Am Ende ja. Wenn es mehr Speed Factories gibt und diese schnell und mit unterschiedlichen Materialien produzieren können. Aber noch ist es nicht so weit.

Viel Erfolg, Ryan, danke für das Gespräch!

 

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