Welche Veränderungen bringt die Digitalisierung in unsere Arbeitswelt? Diese Frage diskutiert Matthias Kamp, München-Korrespondent der WirtschaftsWoche, mit Siemens-Personalvorständin Janina Kugel und Unternehmerin Sabine Herold, Chefin des Hightech-Klebstoff-Herstellers Delo im WiWo-Clubgespräch. Es ist ein Ritt durch die Themenvielfalt Diversität, Automatisierung, Qualifikation, Weiterbildung, Führungsstil. Jedem Zuhörer im Literaturhaus in München wird klar, dass wir uns in unserer modernen, hochtechnisierten Welt mehr denn je hinterfragen müssen, ob wir offen für Neues sind und uns unseren Ängsten vor Veränderungen stellen müssen.

Der Einstieg in die Diskussion hätte nicht provokanter sein können. „Brauchen wir eine Frauenquote?“, fragt Matthias Kamp seine Gesprächspartnerinnen. Beide Unternehmerinnen wollen als Führungskraft keine Quotenfrauen sein. Janina Kugel kontert: „Es geht um die Gleichstellungsquote. Ich weiß nicht, ob wir sie wirklich brauchen, aber wir brauchen die Diskussion. Denn es gibt in den Vorständen deutscher Unternehmen mehr Michaels und Thomas als Frauen.“

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Rollenbilder sind in der Gesellschaft noch sehr stark eingefahren. Wir sind stark konditioniert, und das von klein auf. Was wir als Kinder zuhause vorgelebt und in Schulen erzählt bekommen, prägt enorm. Selbst heute noch werden zu sehr Rollenklischees vermittelt und Mädchen nicht ausreichend an vermeintliche Männerberufe herangeführt. Janina Kugel sieht hier einen großen Hebel, Veränderungen anzustoßen. „Wir müssen insbesondere die Mädchen motivieren, in die MINT-Berufe zu gehen. Abgesehen davon, dass sich hier viel größere Chancen auftun, weil wir diese Fachkräfte dringend brauchen, sind sie auch noch viel besser bezahlt als die klassischen Frauenberufe.“

Auf dem Arbeitsmarkt hat sich dank der technologischen Möglichkeiten viel getan: Teilzeitmodelle, Home-Office, Job-Sharing. Sabine Herold kann das bestätigen: „Wir als Mittelständler bieten unseren Mitarbeitern 42 verschiedene Teilzeitmodelle. Da steckt für HR sehr viel Arbeit dahinter.“ Es muss aber auch an anderer Stelle die Voraussetzungen für Flexibilität geschaffen werden, weiß Janina Kugel, Mutter von schulpflichtigen Zwillingen, aus eigener Erfahrung. „Es fehlt in Deutschland an einer gesicherten und flexiblen Betreuungsstruktur für Kinder, auf die sich beide Elternteile in ihrem Job verlassen können.“ Auch der Wiedereinstieg von Frauen ins Berufsleben wird angesprochen. Sabine Herold appelliert vor allem auch an Quereinsteiger und ermutigt weibliche Fachkräfte, die jahrelang wegen der Familie zuhause geblieben sind: „Diese Frauen haben ein kleines Familienunternehmen geführt. Natürlich sind sie für den Wiedereinstieg qualifiziert. Sie müssen es sich nur zutrauen und es wollen.“

Die Folgen der Automatisierung

Das Gefühl, abgehängt zu sein und das Nichtwissen über neue technologische Entwicklungen bei der Arbeit bleibt kein Phänomen derjenigen, die aus dem Beruf ausgestiegen sind. Vor dieser Herausforderung steht nun jeder Wissensarbeiter in unserer Dienstleistungsgesellschaft. Die Welle der Innovation durch Künstliche Intelligenz und Machine-Learning wird die Jobs in der Administration erfassen. Repetitiven Aufgaben wie zum Beispiel die von Sachbearbeitern oder Gutachtern werden in Zukunft durch Algorithmen gelöst. Bürojobs stehen auf der schwarzen Liste, es ist eine Frage der Zeit, wann sie obsolet werden.

Janina Kugel sieht hier sehr wohl die Unternehmen in der Pflicht, Pakete zu Weiterqualifikationen für betroffene Mitarbeiter zu schnüren. Sabine Herold pflichtet ihr bei, gibt jedoch zu bedenken, dass lediglich Großkonzerne und nur wenige wirklich sehr gut aufgestellte Mittelständler dazu die nötige Infrastruktur hätten. „Solche Angebote können kleinere und mittelständische Unternehmen vor allem in ländlichen Regionen nicht leisten. Der Weiterbildungsmarkt muss hierzulande noch stark entwickelt und auch gefördert werden.“

Angst und Skepsis überwinden

Voraussetzung ist, dass Mitarbeiter auch bereit sind, den Veränderungsprozess zu gehen. In dem Zusammenhang kommen beide auf Ängste zu sprechen. Allein zu akzeptieren, dass man im Job nicht mehr gebraucht wird, sei schon kaum zu ertragen. „Man stelle sich vor, man hat eine qualifizierte Ausbildung, zwanzig Jahre in einem Unternehmen erfolgreich gearbeitet und jetzt soll man nochmal die Schulbank drücken und sich Prüfungen unterziehen, um eine Weiterqualifikation zu absolvieren? Das ist nicht einfach“, erklärt Sabine Herold. Es muss in der Unternehmenskultur verankert sein, dass ein solcher Prozess ganz normal ist. Wichtig, dass mit diesen offen umgegangen wird und gemeinsam nach Lösungen sucht.

In diesen Fragen sind Führungskräfte mehr denn je gefordert. Das alte Führungsprinzip „command and control“ hat ausgedient. Gefragt sind Gestaltungsspielräume, Crowdsourcing, agile Prozesse, innovative Methoden der Mitarbeiterführung. Nicht jede Führungskraft kommt damit zurecht, oft kommen Zweifel auf. Janina Kugel zitiert eine Führungskraft aus dem Siemens-Konzern: „Ich habe Angst davor, die Kontrolle zu verlieren, wenn all meine Mitarbeiter agil und mit Scrum arbeiten.“

Beide Managerinnen sind davon überzeugt, dass sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen lässt. Sie appellieren an Gesprächsbereitschaft und offenen Diskurs eines jeden. Nur so lassen dich die Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt bewältigen.

Foto: Thorsten Jochim